Das Wort „die Sudetendeutschen“ wurde zum erstenmal im Jahre 1903 verwendet (siehe Franz Jesser: Zweitheilung?). Es verbreitete sich allmählich in der Publizistik der völkischen sog. alldeutschen (d. h. großdeutschen) Bewegung in der Habsburger Monarchie. Populär wurde es erst nach 1918 in der Tschechoslowakei als Selbstbezeichnung der sudetendeutschen völkischen Bewegung, die die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg nicht anzuerkennen bereit war und den Anschluß Österreichs sowie der tschechoslowakischen Grenzgebiete an das Deutsche Reich anstrebte.
International bekannt wurde die Bezeichnung „die Sudetendeutschen“ im Zusammenhang mit der Schaffung des nationalsozialistischen Großdeutschen Reichs im Jahre 1938, als die sudetendeutsche völkische Bewegung ihre größte Popularität erreichte und ein wichtiger Stützpfeiler auf dem Weg der Hitlerschen Expansionspolitik zum Zweiten Weltkrieg bildete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bezeichnung „die Sudetendeutschen“ durch die in der BRD rekonstituierte sudetendeutsche völkische Bewegung als die kollektive Bezeichnung aller aus der Tschechoslowakei 1945/46 umgesiedelten Deutschen in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch eingeführt.
Politisch repräsentiert wurden „die Sudetendeutschen“ als die „sudetendeutsche Volksgruppe“ seit 1933 von der „Sudetendeutschen Heimatfront“, die 1935 in „Sudetendeutsche Partei“ umbenannt wurde und sich 1938 der NSDAP angeschlossen hat. Seit 1945 wird die „sudetendeutsche Volksgruppe“ von der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“ repräsentiert, die die völkischen Traditionen pflegt und zur wichtigsten Nachfolgeorganisation der „Sudetendeutschen Partei“ geworden ist.
Die massive politische und finanzielle Unterstützung, die der sudetendeutschen Literatur und Publizistik in der BRD zur Verfügung stand, hat die Verdrängung der Erinnerung an demokratische politische Kräfte unter den Deutschen in der Tschechoslowakei, im Widerstand während des Zweiten Weltkrieges und unter den Vertriebenen zur Folge gehabt.
Während die sudetendeutsche völkische Bewegung ihre Traditionen im Rahmen der Förderung der Kulturarbeit der Vertriebenen pflegte und fortentwickelte, haben sich alle anderen ehemals tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher Nationalität in die deutsche Gesellschaft integriert und keine spezifische kollektive Identität entwickelt. Dies gilt vor allem für alle diejenigen Vertriebenen, die der völkischen und antidemokratischen Politik von Anfang an kritisch gegenüber standen, zu den NS-Opfern oder dem Umkreis der Londoner Exilorganisationen gehörten und den „sudetendeutschen Nazisumpf“ (Rudolf Zischka) sowie die „Henleins von gestern und heute“ (Kurt Nelhiebel) in den sudetendeutschen Vertriebenenverbänden kritisierten.
Der Begriff „die Sudetendeutschen“ ist ein politischer Kampfbegriff und keine ethnische Bezeichnung, da sich keine ethnisch abgrenzbare Gruppe als „sudetendeutsch“ erkennen läßt. Die deutschsprachigen Bewohner der Böhmischen Länder pflegten sich unterschiedlich zu bezeichnen: als Böhmen, Deutsche, Österreicher, als Böhmerwäldler, Mährer, Schlesier oder Deutschböhmen; bis heute verwenden viele gern die Bezeichnung Altösterreicher. Sie haben nie eine kollektive Identität entwickelt; versucht hat dies nur seit 1903 die zunächst erfolglose sudetendeutsche Bewegung im Namen der großdeutsch-völkischen Ideologie. Als „die sudetendeutsche Volksgruppe“ kann daher lediglich der der sudetendeutschen völkischen Bewegung nahestehende Personenkreis bezeichnet werden.
„Die Sudetendeutschen“ dürfen deshalb weder mit allen Deutschen in der Geschichte der Böhmischen Länder noch mit allen vertriebenen ehemaligen tschechoslowakischen Bürgern deutscher Nationalität gleichgesetzt werden. Sudetendeutsche Geschichte ist daher nicht mit der Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung des heutigen Tschechien gleichzusetzen. Es ist die Geschichte der sudetendeutschen völkischen Bewegung und betrifft daher nur einen Teil jener deutschsprachigen Bevölkerung.
Da sich sudetendeutsche völkischen Bewegung, also „die Sudetendeutschen“, stets als einen Teil der deutschen Nation verstanden hat und den Anschluß an den deutschen Nationalstaat anstrebte, bildet die sudetendeutsche Geschichte einen Bestandteil der deutschen Geschichte.
In der Geschichte der europäischen nationalen Bewegungen stellt die sudetendeutsche Geschichte ein einmaliges Phänomen dar. Aus der Alldeutschen Bewegung in der Habsburgermonarchie hervorgegangen, entwickelte die sudetendeutsche völkische Bewegung 1918-1938 ein sich allmählich verbreitendes kultur-politisches Spektrum in der ersten Tschechoslowakischen Republik. Seit 1938 wurde die freie Entwicklung dieser Traditionen durch die Einbindung in das nationalsozialistische Regime im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs sowie durch die Aussiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei behindert. Als sich die sudetendeutschen Organisationen neu zu konstituieren begannen und die sudetendeutsche Bewegung als „sudetendeutsche Volksgruppe“ institutionalisiert wurde, wurde die Tradition in der Bundesrepublik Deutschland wiederaufgenommen.
Die sudetendeutsche Geschichte bildet deshalb eine bisher hundertjährige Geschichte einer politischen und kulturhistorischen Tradition, die zur Geschichte dreier Staaten gehört: Österreich, Tschechien und Deutschland.
Das Thema „ein Jahrhundert sudetendeutscher Geschichte“ verbindet deshalb intensiver als andere historische Themenbereiche die österreichisch-tschechisch-deutsche Nachbarschaft, und es ist erstaunlich, daß sich die Historiker der drei Länder bisher ausgerechnet mit diesem Thema relativ wenig beschäftigt haben, mit der Folge, daß die Öffentlichkeit weitgehend auf sudetendeutsche Selbstdarstellungen angewiesen bleibt. Die hier dargebotene Dokumentation bietet deshalb kaum bekannte Einblicke in die deutsche Vergangenheit und beginnt, einen weißen Fleck in der deutschen Geschichte zu füllen.