Deutsche Stereotypen über die Tschechen, ihr Land und ihre Geschichte

Die historische Stereotypenforschung hat sich um den Bereich der deutsch-tschechischen Beziehungen bisher wenig gekümmert. Es gibt nur vereinzelte Detailstudien, die sich vorwiegend mit den tschechischen Stereotypen über die Deutschen beschäftigen. Die deutschen Stereotypen über die Tschechen, ihr Land und ihre Geschichte blieben bisher weitgehend unerforscht, obwohl sie einen wichtigen Themenbereich für die Geschichte der deutschen historischen Identität bilden. Böhmen galt lange als das „Herzland Germaniens“, und Prag erfreut sich bis heute der Reputation, eine historisch vermeintlich mehr deutsche als tschechische Stadt und der Sitz der ältesten vermeintlich deutschen Universität gewesen zu sein. Deswegen haben deutsche Autoren der historisch-politischen Literatur seit der Mitte des 19. Jahrhunderts oft Schwierigkeiten gehabt, eine angemessene Form für die Darstellungen der deutschen Beziehungen zu diesem Land, zu Prag und zur tschechischen Nation zu finden.

 

Die folgende kurze Stereotypen-Auswahl kann als eine erste anschauliche Illustration dieser Problematik in der Geschichte der deutschen historisch-politischen Literatur dienen.

 

Für die ausführliche Stereotypen-Sammlung siehe Deutsche Stereotypen über die Tschechen, ihr Land und ihre Geschichte

 

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1848

Deutschlands Pflicht ist es, die Slawen nicht so weit vorrücken, nicht in Böhmen festen Fuß fassen zu lassen. Denn Böhmen ist ein Keil, eingetrieben in die deutsche Eiche, um sie zu spalten.[1]

 

1897

Und nun sind die Apostel der Barbarisierung am Werke, die deut­sche Arbeit eines halben Jahrtausends in dem Abgrunde ihrer Uncul­tur zu begraben... Seid hart! Vernunft nimmt der Schädel der Cze­chen nicht an, aber für Schläge ist auch er zugänglich![2]

 

1925

[Die Tschechoslowakei] als Ganzes ist ein recht eigenartiges Gebilde. Wie ein drachenähnliches Ungetüm mit Böhmen als einem klotzigen Kopf, mit Mähren und der Slowakei als gestrecktem Leib und mit Karpathenrußland als Schweif stößt es vom Osten Europas weit gegen die Mitte des Erdteils vor.[3]

 

1927

Wie der Franzose am Rhein, so bemüht sich der Tscheche in Böhmen aufs äußerste, ehe wir wieder zu Kräften kommen, uns zu verdrängen. [...] Es ist ein Krieg von einer Gewalt, wie sie nur selten, vielleicht nie in der Weltgeschichte entwickelt worden ist: eine tausendjährige Eiche, die feindliche Hände in ihrem Wurzelwerk treffen und aus dem Boden heben wollen, um sie ein für allemal zu vernichten. Die beiden Hauptwurzeln, dank denen sie im mitteleuropäischen Raum aufrecht steht, sind der Rhein und Böhmen. Beide braucht sie, um leben zu können.[4]

 

1935

Der Tscheche aber, heute immer noch in der seinem Wesen vollkommen fremden Gedankenwelt   des Westens verharrend, sieht sich noch immer vom Deutschtum bedroht.[...] Das Tschechentum sieht gar nicht, wie sehr unrecht es an seiner eigenen Volkssubstanz tut, wenn es sich aus dem gegenseitigen schöpferischen kulturellen Verhältnisse zum Deutschtume löst, um sich der liberalistischen Lehre des Westens in die Arme zu werfen.[5]

 

1937

Der Deutsche des Reiches soll sich stets dessen bewußt bleiben, daß der Tscheche niemals Vertrauen zum Deutschen haben wird. Ein freies, staatliches Ausleben der Tschechen im Sudetenraum wird sich immer zum Nachteil des mitteleuropäischen Deutschtums auswirken. Der Deutschenhaß ist einer Naturmacht gleich, die in diesem Raum über Vernunft und Gefühl herrscht.[6]

 

1937

Damit aber tritt das Sudetendeutschtum als ein zuchtvoll und artgemäß gestaltetes Glied der deutschen Gesamtkultur dem Tschechentum, das sich unter westlerischen und zuletzt unter russisch-bolschewistischen Einwirkungen nach der Gegenseite ausgerichtet hat, zur entscheidenden Auseinandersetzung an der empfindlichsten Stelle der europäischen Hauptfront gegenüber. Es geht wieder einmal beim Kampf um Böhmen um das Letzte und Ganze.[7]

 

1938

Was soll schon der Awarensprößling, der sich Tscheche nennt, mit dem Zeichen der Erneuerung, dem Hakenkreuz, anfangen?[8]

 

1938

Alle Demokratien sind scheinheilig und riechen mehr oder weniger nach dem Alten Testament. Die Prager stellt aber noch einen ganz bestimmten Typ dar, denn hier vermählt sich westlerisches und halbasiatisches Wesen.[9]

 

Erlaß des Führers und Reichkanzlers 1939

Ein Jahrtausend lang gehörten zum Lebensraum des deutschen Volkes die böhmisch-mährischen Länder. Gewalt und Unverstand haben sie aus ihrer alten historischen Umgebung willkürlich gerissen und schließlich durch ihre Einfügung in das künstliche Gebilde der Tschecho-Slowakei den Herd einer ständigen Unruhe geschaffen. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich die Gefahr, daß aus diesem Raum her­aus - wie schon einmal in der Vergangenheit - eine neue ungeheuerli­che Bedrohung des europäischen Friedens kommen würde. Denn dem tschecho-slowakischen Staat und seinen Machthabern war es nicht gelungen, das Zusammenleben der in ihm willkürlich vereinten Völ­kergruppen vernünftig zu organisieren und damit das Interesse aller Beteiligten an der Aufrechterhaltung ihres gemeinsamen Staa­tes zu erwecken und zu erhalten. Er hat dadurch aber seine innere Lebens­unfähigkeit erwiesen und ist deshalb nunmehr auch der tatsächli­chen Auflösung verfallen.[10]

 

1941

Der einzige Sinn und Zweck des Staates war, mitten im Herzen des deutschen Volkes und weit hineinspringend in das geschwächte Reich, Festung, Bollwerk und ‚Flugzeugmutterschiff’ gegen das Reich und gegen alles Deutsche zu sein.[11]

 

1941

Die Flut der deutschen Ostbewegung hat das weiche Gestein der kleinen westslawischen Gauvölker allenthalben abgetragen, nur ein Härtling blieb als Kippe in der Brandung stehen: das Volk der Tschechen [...] Aber sie sind ein Kleinvolk geblieben mit allen daraus sich ergebenden Beschränkungen einer vollen Entfaltung.[12]

 

1950

Seit dem Spätmittelalter wurde die Abwehr des als übermächtig empfundenen deutschen Einflusses eine entscheidende Triebkraft in dem düsteren politischen Bewußtsein dieses unglücklichen Völkchens.[13]

 

1950

Biologisch gesehen ist also das heutige Tschechenvolk wie das heutige Sudeten- (und Wiener) Deutschtum eine recht weitgehend untereinander verschmolzene, familienähnlich verwandte Gesamtbevölkerung mit viel gemeinsamen, nur ihnen beiderseits eigenen körperlichen und seelischen Zügen, ohne jede scharfe Grenze zwischen Volk und Volk. [...] Wohl gemerkt: Jene slawisch sprechenden primitiven Verbände waren noch nicht gleichzusetzen mit dem Tschechenvolk: Dieses entstand eben schon ursprünglich aus der Vermählung von germanischem mit "slawischem" Erbe und wurde seiner als Volk bewußt und seiner Eigenart stolz inne erst nach reichlicher Blutsaufnahme aus dem anrainenden deutschen Volkstum, und wurde nachweislich zumeist durch deutsche oder deutschblütige Erwecker immer wieder vor dem Niedergang und Aufgehen im großen deutschen Reichsvolk bewahrt.[14]

 

1989

Trotz einer demokratischen Verfassung war die ČSR ein ‚Völkerkerker’ nicht nur für Deutsche, sondern auch für Polen, Ungarn und Slowaken. München 1938 war die Bankrotterklärung der gegen den Willen dieser Völker errichteten Tschechoslowakei.[15]

 

1992

In Böhmen und Mähren haben die Tschechen ihren Siedlungsboden behauptet, ausgebaut und an den Rändern des bis zum 14. Jahrhundert gewonnen deutschen Volksbodens, besonders in Sprachinseln, auf Kosten der Deutschen ausgedehnt.[16]

 

1992

Die Tschechen haben das deutsche Land 1918 besetzt, sie mußten es 1938 herausgeben, sie haben es 1945 erneut besetzt und sie halten es besetzt. Das muß unsere Position sein.“[17] „Den Tschechen darf nichts genommen werden, was ihnen gehört. Das Sudetenland gehört ihnen nicht, das haben sie besetzt, und das halten sie weiter besetzt.[18]

 

1995

Immer deutlicher zeigt sich auch die Ablehnung, Prag als mitteleuropäische Metropole im Kräftefeld zwischen Ost und West zur Geltung zu bringen. Statt dessen scheint die tschechische Politik ganz darauf fixiert zu sein, im Westen aufzugehen.[19]

 

2002

Derlei Schlichtheit spricht seinen verschwörungssüchtigen Landsleuten aus der Seele. Zwölf Jahre nach der Wende scheint der zivilgesellschaftliche Werte-Kanon Prager Parteien noch ziemlich fremd.[20]

 

2003

Schwejk zieht in die Welt hinaus: Die Bürger Tschechiens stimmen für den Beitritt zur Europäischen Union[21]

 

 

Ob das Ausbleiben einer kritischen Aufarbeitung dieser Stereotypen eine gute Zukunft verheißt?



 

 

 

[1] Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden National-Versammlung zu Frankfurt a.M. Dreizehnte Sitzung in der Paulskirche, Mittwoch, den 8. Juni [1848], zit. nach Reden für die deutsche Nation 1848/1849. Vollständige Ausgabe in IX Bänden neu verlegt und mit einer Einführung versehen von Chri­stoph Stoll, Bd. 1, München 1988, S. 241.

[2] Theodor Mommsen an die Deutschen in Österreich in der Neuen Freien Presse, 31.10.1897.

[3] Emil Lehmann: Der Sudetendeutsche. Eine Gesamtbetrachtung, Potsdam 1925, S. 13.

[4] Martin Spahn: Böhmen und das deutsche Volk, in: Sudetendeutsches Jahrbuch 3, 1927, S. 8-11, hier S. 10f.

[5] Walter Brand: Die geistigen Grundlagen unserer Bewegung, Karlsbad 1935, S. 17f.

[6] Rudolf Lochner: Sudetendeutschland. Ein Beitrag zur Grenzlanderziehung im ostmitteldeutschen Raum, Berlin-Leipzig 1937, S. 28-35.

[7] Hans Krebs / Emil Lehmann: Wir Sudetendeutsche!, Berlin 1937, S. 125.

[8] Rudolf Jung: Die Entstehung des Tschechenstaates und die sudetendeutsche Volksgruppe, in: Sudetendeutscher Schicksalskampf, hg. v. Erich Kühne, Leipzig 1938, S. 35-52, hier S. 46.

[9] Rudolf Jung: Die Entstehung des Tschechenstaates und die sudetendeutsche Volksgruppe, in: Sudetendeutscher Schicksalskampf, hg. v. Erich Kühne, Leipzig 1938, S. 35-52, hier S. 47.

[10] Erlaß des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren vom 16. März 1939, in: Reichsgesetzblatt, Teil I, 1939, Nr. 47, S. 485.

[11] Karl Hermann Frank: Böhmen und Mähren im Reich, Prag 1941, S. 21f.

[12] Hermann Aubin: Geschichtliche Kräfte im Sudetenraum, Leipzig 1941, S. 12 und S. 14.

[13] Georg Stadtmüller: Geschichte Südosteuropas, München 1950, S. 234.

[14] Karl Valentin Müller: Volksbiologische Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen, in: Die Deutschen in Böhmen und Mähren. Ein historischer Rück­blick, hg. v. Helmut Preidel, Gräfelfing 1950, S. 291-303, hier S. 299-301.

[15] Die Sudetendeutschen. Eine Volksgruppe im Herzen Europas. Von der Frankfurter Paulskirche zur Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Oskar Böse und Rolf-Josef Eibicht, Ausstellungskatalog herausgegeben vom  Sudetendeutscher Rat, München 1989, S. 75.

[16] Conze, Werner: Ostmitteleuropa. Von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Klaus Zernack, München 1992, S. 93.

[17] Die Tschechoslowakei. Das Ende einer Fehlkonstruktion. Die Sudeten­deutsche Frage bleibt offen, hg. v. Rolf-Josef Eibicht et al., Berg 1992, S. 111.

[18] Alfred Ardelt: Unverzichtbare Grundsätze einer sudetendeutschen und Ostdeutschen Heimatpolitik ohne Tabus, in Rolf-Josef Eibicht (Hg.): 50 Jahre Vertreibung. Der Völkermord an den Deutschen Ostdeutschland – Sudetenland, Rückgabe statt Verzicht, Hohenrain-Verlag Tügingen 1995 S. 162-170, hier S. 169.

[19] Peter Becher: Krumauer Thesen, in: Peter Becher: Zwischen München, Prag und Wien, Essays und Feuilletons, München 1995, S. 166-170, hier S. 167.

[20] Süddeutsche Zeitung 25. 4. 2002.

[21] Frankfurter Rundschau 16. 6. 2003.