Schon im Jahre 1924, im
ersten Band des Sudetendeutschen Jahrbuchs, findet sich ein Text von Ernst Schwarz
über die Tschechen als die Sudetenslawen, die sich als die Sklaven der Awaren in Böhmen und
Mähren niedergelassen hätten.[1]
Schwarz war fasziniert vom Gedanken, daß die Tschechen eigentlich kein Heimatrecht
in diesen Ländern hatten und kehrte zu diesem Thema lebenslang immer wieder
zurück. Er hielt nämlich das Gebiet des heutigen Tschechien nicht für die Urheimat
der Sudetenslawen: „Böhmen
und Mähren gehören eben nicht zur Urheimat der Slawen, diese sind hier
eingewandert. Sollte es einmal dazu kommen, daß die Wohnsitze der Völker nach
dem Grundsatz der Urheimat bestimmt werden, so müssen die Tschechen den
gesamten Sudetenraum verlassen.“[2]
Die Sudetendeutschen waren in seinen Augen besser dran: „Im Mitteleuropa,
besonders in seinem östlichen Teil, sind zwei Völker einander begegnet, von
denen die Deutschen hier zu Hause, die Slawen aber zum Großteil eingewandert
sind.“[3]
Mit anderen Worten: „Von den beiden Völkern, die im Raum Ostsee-Adria wohnen,
sind die Deutschen als Nachkommen der Germanen hier zu Hause, während die
Slawen vom 6. Jahrhundert ab eingewandert sind.“[4]
Die Slawen seien
darüber hinaus in keinerlei legitimen Art und Weise in die ‚Urheimat der
Deutschen‘ eingewandert: „Die slawische Völkerwanderung hatte sich in aller
Stille vollzogen. Sie war in verödete Länder gegangen, während die germanische
auf die Hauptstätten der antiken Kultur gerichtet war. Hier fehlt es nicht an
Berichten über das Eindringen der Germanen. Wer aber hätte in Deutschland, wo
man noch nicht die Kunst des Schreibens gelernt hatte und selbst in schwerer
Aufbauarbeit begriffen war, sich auch mit dem Christentum auseinanderzusetzen
hatte, von den Vorgängen im Osten besondere Kenntnis nehmen sollen? So ist das
frühere Germanien seit dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts in einen
deutschen Westen und einen awarisch-slawischen Osten zerrissen worden. Damit
war die östliche Welt, vertreten durch asiatische Nomaden und kulturell
tiefstehende arme slawische Bauern, in Mitteleuropa eingedrungen. Andere
Sprachen und Sitten herrschten. Die Grenzen Europas waren Elbe und Saale, Enns
und das Pustertal.“[5]
Darüber hinaus erschien
Ernst Schwarz sogar noch im Jahre 1970 die Raumverteilung nicht gerecht, und
einfach sollen es die Deutschen „im einstmals germanischen Osten“ auch nicht
gehabt haben: „Die Slawen haben ein großes Gebiet zwischen Ostsee und Adria in
Besitz genommen, so daß gegenüber dem auf relativ schmalen Raum
zusammengedrängten sich ausbildenden Deutschen Reich das Slawenland zum
Landesausbau locken mußte. Die Lage war deshalb anders als im Westen und Süden.
Die slawische Einwanderung im einstmals germanischen Osten fällt mit dem
Auftreten der Awaren zusammen, eines aus Asien kommenden türkischen Stammes
[...] Um 790 wurde das Awarenreich vernichtet und fränkisch-bairischer Einfluß
macht sich in Mähren bemerkbar. Seit der Schlacht von Preßburg 907 aber ist das
Steppengebiet Ungarns wieder von einem nomadischen Ostvolk, den Magyaren,
besetzt, so daß die deutsche Besiedlung der Länder an der mittleren Donau bis
zur Niederringung der Magyarengefahr in der Schlacht auf dem Lechfelde 955
verzögert wird.“[6]
Um mit
‚wissenschaftlichen‘ Methoden die Frage zu klären, wem eigentlich genau was im Sudetenraum,
d.h. in den Böhmischen Ländern, gehöre, beschäftigte sich der Germanist Schwarz
lebenslang mit der Erforschung der Geschichte der Flur-, Orts- und
Familiennamen sowie der deutschen Mundarten. Das half ihm nämlich sogar bei der
Suche nach der ‚Heimat des Deutschtum‘ auch dort, wo es keines gab:
„Auch das versunkene Deutschtum in jetzt rein tschechischen Gegenden ist
möglichst nach einstiger Mundart und Herkunft zu bestimmen,das Nachwirken im
anderen Volke zu untersuchen.“[7]
Im Geiste der
völkischen Vorliebe für das Konzept des Volkstumskampfs glaubte Schwarz,
in der gesamten böhmischen Geschichte einen ewigen Kampf der Deutschen mit den
Tschechen zu erkennen: "Schon vor den Hussitenkriegen ist das
tschechische Volkstum im Vormarsch. Die Deutschen waren müde, wie es sich
ähnlich damals auch im Reiche zeigt, wo sich Erschlaffungserscheinungen
bemerkbar machen."[8]
Sein Bild des Volkstumskampfs bot allerdings nicht genau ein Szenario
zwei gleicher, kämpfender Partner. In seinem Geschichtsbild waren stets die
Tschechen im Vormarsch und die Deutschen in der Defensive, und zwar aus
verschiedenen Gründen: „Die Deutschen kannten diesen aus
Minderwertigkeitsgefühlen erwachsenen Nationalhaß nicht, sie lebten noch in
Gedanken des großen Reiches, auch als dieses schon schwach geworden war. Dabei
ist es so, daß sie merken mußten, daß ihre Stellung abzubröckeln begann und
schon im 14. Jahrhundert an verschiedenen Orten das tschechische Element
vordringt. Die Kraft des deutschen Eindringens begann nachzulassen, auf
tschechischer Seite lernte man und beginnt, verlorene Stellungen
wiederzugewinnen und neue zu erobern.“[9]
Genaugenommen war der Volkstumskampf also gar kein Kampf im eigentlichen Sinne des
Wortes, da die Deutschen nicht kämpften. Es war vielmehr eine Art von
Arbeitsteilung – die Tschechen haßten, und die Deutschen arbeiteten: „Die Kraft
der tschechischen Bauern reichte nicht aus, um die Rodung der großen Wälder
durchzuführen. Da sie meist unfrei waren, lockte sie die schwere Arbeit nicht
besonders, zumal der Hakenpflug für den schweren Boden nicht genügte. Wie hätte
man auch den deutschen Rodungsvorsprung einholen sollen! [...] Da der eigene
Bauernstand versagte, mußte man sich notgedrungen deutscher Bauern bedienen.“[10]
Der Wissenschaftler Ernst Schwarz war voll von Bewunderung für die deutschen
Bauern: „Jeder, der einmal Bäume geschlagen und Stöcke herausgemacht hat, weiß,
wie schwer diese Arbeit ist. Es ist nicht einfach, den Wald in Äcker zu
verwandeln. Es ist den Deutschen gelungen, wie die vielen deutschen Dorfnamen
an der Stelle der alten Wälder im Böhmerwalde, Fichtelgebirge, Erzgebirge, Lausitzer-
und Riesengebirge, im Gesenke beweisen. Auch die böhmisch-mährische Höhe ist
den Deutschen wenigstens zum Teil freigegeben worden. Hier sind die Iglauer,
Deutschbroder, Saarer und Schönhengster Insel entstanden.“[11]
Durch schwere Anstrengung deutscher Bauern
sei die deutsche Wiederbesiedlung[12]
in den böhmischen Ländern dennoch nur teilweise gelungen: „Eine deutsche
zentrale Leitung hätte zu ganz anderen Ergebnissen geführt und vor allem die
starke Zersplitterung verhindert. Die Deutschen haben vielmehr die Pflichten
erfüllt, die man ihnen auferlegt hat: Sie haben gerodet, gearbeitet und sind
die Lehrmeister des tschechischen Volkes geworden.“[13]
Und doch sind die Tschechen undankbar gewesen und daher ergab sich der
ungleiche Volkstumskampf: „Das Nationalbewußtsein der Deutschen ist
schwach, das der Tschechen stark.“[14]
Und genau das war der Grund, warum man die
Sprachenforschung benötige, meinte Ernst Schwarz: „Von Bezirk zu Bezirk müssen
die Ortsnamen, Flurnamen, Familiennamen, Mundarten untersucht werden, muß der
Vergleich mit Flur- und Dorfformen einsetzen, also der Blick auf die Geschichte
beibehalten und ausgebaut werden. Die Erkenntnisse anderer Wissenschaftszweige
müssen verwertet werden. Der Sprachengrenzgeschichte muß mehr Aufmerksamkeit
zugewendet werden, als es derzeit geschieht. Auch das versunkene Deutschtum in
jetzt rein tschechischen Gegenden ist möglichst nach einstiger Mundart und Herkunft zu bestimmen, das Nachwirken
im anderen Volke zu untersuchen. Die Rassen- und Volkskunde sollte sich dieser
Volksforschung anschließen, denn die Zukunft der Wissenschaft gehört der
Zusammenarbeit, die Schlacht muß vereint geschlagen werden. Es handelt sich um
die geschichtliche Grundlegung des Sudetendeutschtums, die
Feststellung seiner Lebensgrundlagen und -kräfte, seiner Leistungen und der
sich darauf aufbauenden Zukunft.“[15]
Die Schlacht, die Ernst Schwarz im
Jahre 1939 zu gewinnen trachtete, wurde nicht gewonnen, aber auch im Jahre 1950
verlor Ernst Schwarz nicht alle Hoffnungen: „Welche Hoffnung bleibt den
Sudetendeutschen? Sie haben ein unverlierbares Recht auf ihre Heimat“, meinte
Ernst Schwarz: „Sie werden sie nicht aufgeben. Können sie derzeit nicht
zurückkehren, so hoffen sie auf die Einsicht der Welt, die sich bemühen muß,
das Ausweisungsverbrechen wieder gutzumachen.“[16]
Ihm persönlich erging es dennoch nicht ganz so schlecht: er konnte seine
Sprachforschungen mit staatlich finanzierter Unterstützung weiter betreiben und
damit seinen Kampf um die Heimat fortführen. In den Jahren 1955-1963 wirkte er als o. Professor für
germanische und deutsche Philologie an der Universität Erlangen, seine
älteren Publikationen wurden neu aufgelegt und vor allem: sein Projekt eines
Sudetendeutschen Mundartenwörterbuchs aus dem Jahre 1929 wurde dreißig Jahre
später, 1959, vom Collegium Carolinum in München unter seiner Leitung
wiederaufgenommen; weitere drei Jahrzehnte später, 1988, ist sogar dessen erste
Lieferung erschienen.[17]
Ernst Schwarz selbst gehörte zu den Gründungs- und Vorstandsmitgliedern des
Collegium Carolinum und sein Lebenswerk wurde dort 1979 mit der Verleihung der
Ehrenmitgliedschaft des Vorstandes gewürdigt.
[1] Ernst Schwarz: Die Landnahmezeit der Sudetenslawen, in: Sudetendeutsches Jahrbuch, Erster Band, Berichtsjahr 1924, herausgegeben für die Adalbert-Stifter-Gesellschaft und im Auftrage und mit Unterstützung der Hauptstelle für deutsche Schutzarbeit von Otto Kletzl, Augsburg 1925, S. 10-12.
[2] Ernst Schwarz: Geschichte der deutschen Besiedlung, in: Die Deutschen in Böhmen und Mähren. Ein historischer Rückblick, hg. v. Helmut Preidel, Gräfelfing bei München 1950, S. 108-131, hier S. 113.
[3] Ernst Schwarz, Deutsche, Tschechen und Polen, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum 1, 1960, S. 37-65, hier S. 37.
[4] Ernst Schwarz: Begegnungen von Deutschen und Slawen in Mitteleuropa, in: Mitteilungen der Deutschen Pestalozzi-Gesellschaft, Arbeits- und Forschungsstelle für Ostkunde und Ostpädagogik 6, 1959, Nr. 1/2, S. 1-5, hier S. 1.
[5] Schwarz: Geschichte 1950 , S. 114f.
[6] Ernst Schwarz: Aufgaben der Ostforschung. Vortrag anläßlich der Verleihung des Georg-DehioPreises für Kultur- und Geistesgeschichte am 7. Juni 1970 durch die Künstlergilde in Eßlingen, in: Sudetenland. Vierteljahresschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft und Volkstum 12, 1970, H. IV, S. 241-245, hier S. 241f.
[7] Ernst Schwarz: Deutsche Siedlung in den Sudetenländern im Lichte sprachlicher Volksforschung, in: Das Sudetendeutschtum. Sein Wesen und Werden im Wandel der Jahrhunderte, hg. v. Gustav Pirchan, Wilhelm Weizsäcker u. Heinz Zatschek, Brünn-Prag-Leipzig-Wien 1939, S. 93-116, hier S. 114.
[8] Ernst Schwarz: Sudetendeutsches Schicksal im Laufe der Jahrhunderte, Augsburg 1951, S. 24 [2. Aufl. München 1974]. Auf dem Umschlag dieses völkischen Pamphlets wird der Autor sogar als "Univ.-Prof. Dr." tituliert, also sein wissenschaftlicher Rang betont.
[9] Schwarz: Deutsche, Tschechen und Polen 1960, S. 55.
[10] Schwarz: Geschichte 1950, S. 117.
[11] Schwarz: Sudetendeutsches Schicksal 1951 [1974], S. 18.
[12] Schwarz: Deutsche Siedlung 1939, S. 96.
[13] Schwarz: Geschichte 1950, S. 127.
[14] Ebenda.
[15] Schwarz: Deutsche Siedlung 1939, S. 114.
[16] Schwarz: Sudetendeutsches Schicksal 1951 [1974], S. 63.
[17] Sudetendeutsches Wörterbuch. Wörterbuch der deutschen Mundarten in Böhmen und Mähren-Schlesien, München 1988 ff.