Bernd Posselt: Sturmzeichen. Politische Texte 1978-1994. Mit einem Vorwort von Otto von Habsburg, Wien-München 1994, 321 S.

 

Dieses Buch bietet einmalige Einsichten in die mentale Welt eines der heute bekanntesten Repräsentanten der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt. Es wurde in dem Amalthea-Verlag veröffentlicht, der dem führenden sudetendeutschen Politiker und Mitglied des Witikobundes, Herbert Fleissner, gehört, den Posselt wiederum als seinen Verleger bezeichnet (S. 13), und mit einem Vorwort des ehemaligen Thronfolgers Otto von Habsburg versehen, als dessen politischer Zögling sich Posselt präsentiert.

 

Posselt begann 1979 seine Karriere im Europaparlament als Habsburgs Mitarbeiter und soll „im Auftrag der Internationalen Paneuropa-Union die paneuropäischen Untergrundgruppen im damaligen Ostblock“ koordiniert haben. Er erzählt auch, daß er die Gelegenheit gehabt habe, in vielen „Publikationen der Paneuropa-Bewegung, aber auch in anderen christlichen und konservativen Organen“ seine Stanpunkte zu verbreiten, daß ihm dennoch „besonders die in Prag erscheinende wissenschaftliche Zeitung ‚Střední Evropa‘, die im Untergrund gegen den Kommunismus entstand, und die in Brünn verlegte Kulturzeitschrift ‚Proglas‘ am Herzen liegen“ (S. 15). Posselt war ein Gegner der kommunistischen Diktatur nicht zuletzt wegen seiner Träume darüber, „wie zum Beispiel die Sudetendeutsche Landsmannschaft in Zukunft jene Mitglieder dieser Volksgruppe, die inzwischen im Westen verwurzelt sind, sowie jene, die 1945 in Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien verblieben sind, mit jenen, die dorthin zurückkehren, um gemeinsam mit den Tschechen ihre angestammte Heimat wiederaufzubauen, verbinden könnte“ (S. 172).

 

In einem Essay von 12. Januar 1990 äußerte sich Posselt zu den sog. offenen Fragen (S. 168-173). Dazu zählte er vor allem die sog. deutsche Frage und stellte schon damals Übelegungen an, ob z. B. die „wiederhergestellten mitteldeutschen Länder von Mecklenburg bis Sachsen“ der Bundesrepublik beitreten sollten oder wie die „Grenzfrage“ zu lösen sei: dabei erklärte er, daß die Vertriebenen

 

„einen Kopromiß suchen und neue Modelle (etwa für gemischt besiedelte Regionen) entwickeln wollen. Seit der Charta der Heimatvertriebenen, in der diese vor 40 Jahren feierlich auf Rache und Vergeltung verzichteten, haben sie sich kostruktiv mit Zukunftskonzepten für Böhmen oder Schlesien beschäftigt, die die Rechtsansprüchen beider Seiten berücksichtigen.“ (S. 171)

 

D. h. die deutsch-tschechische und die deutsch-polnische Grenze sollen revidiert werden. Bernd Posselt lehnt zwar „Gegenvertreibungen der inzwischen in ihren Heimatgebieten Angesiedelten“ ab, setzt sich aber entschieden für eine Veränderung der „nach 1919, nach Versailles und Saint-German“ etablierten staatlichen Strukturen ein: „So wie die Diskussionen über die deutschen Grenzen im Zusammenhang mit ähnlichen Debatten von Rumänien/Moldawien bis hinauf zur Ostsee (im polnisch-baltischen Raum) gesehen werden muß, ist auch die Frage der deutschen Volksgruppen in ganz Europa und speziell im Osten Teil eines größeren Phänomens.“ (S. 171) Posselts „Europaidee“ soll die bestehende Staatenordnung ändern: der Staat soll aufhören den grundlegende Baustein der europäischen Staatenordnung zu bilden, und neben Staaten sollen die sog. Volksgruppen und ihre „Regionen“ hinzukommen: „Gerade die Europaidee läßt Regionen und Volksgruppen gegenüber den Mehrheitsvölkern  der einzelnen Staaten stärker hervortreten, während gleichzeitig die notwendige nationale Erneuerung  der östlichen Völker, die den diktatrorischen Internationalismus abschütteln, die Gefahr nationalistischer Emotionen verschärft.“ (S. 171)

 

Posselt sucht unermüdlich nach neuen Wegen zur Verwirklichung seiner, in der Satzung der Sudetendeutschen Landsmannschaft verankerten Ziele, aber seiner politisch-taktischen Flexibilität liegt eine unbestechliche Beharrlichkeit zugrunde: „Es geht nicht darum, die Einheit des deutschen Volkes oder Rechtspositionen preiszugeben, sondern um Konzepte für eine friedliche europäische Zukunft, ohne die das Recht auf die Heimat eine vage Wunschvorstellung bleiben muß.“ (S. 129) Posselt setzt sich für eine neue europäische Staatenordnung im Geiste des ehemaligen Thronfolgers Otto von Habsburg geprägten Paneuropabewegung ein:

 

„Eine solche übernationale Rechtsordnung, die auf die Tradition des Heiligen Römischen Reiches zurückgeht und gemischtnationale, gemischtsprachige Territorien ermöglicht, könnte dem fruchtlosen Streit um nationale Souverenitätsrechte und Staatsgrenzen ein Ende bereiten. Solche multinationalen Regionen könnten entweder wie Andorra unter der Oberhoheit beider Nachbarstaaten stehen und im Inneren nach einem Volksgruppenrecht entspredchend dem Mährischen Ausgleich der k.u.k. Monarchie organisiert sein oder ‚reichsunmittelbar‘ direkt der europäischen Ebene unterstehen.“ (S. 129)

 

Das Wort „Tschechoslowakei“ verwendet Posselt nur in negativ konnotierten Zusammenhängen und zieht die aus der Vergangenheit bekannte Bezeichung „Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien“ vor; wenn er über die Aussiedlung der Deutschen infolge des Zweiten Weltkriegs spricht, denkt er jedoch nicht an die Geschichte: „Die Vertreibung wurde inszeniert, um die Vertreibernationen unwiderruflich an die Sowjetunion zu ketten, da diese nun behaupten konnte, ihre slawischen, magyarischen ode rumänischen Brudervölker vor deutschem Revanchismus zu schützen.“ (S. 128) An die Geschichte der sudetendeutschen völkischen Bewegung und ihrer Rolle als Fünfte Kolonne Hitlers pflegt er nicht zu erinnern, und auch über die beiden Weltkriege spricht er in recht eigenwilligen Formulierungen: „Preußischer König und russischer Zar konnten dennoch nicht verhindern, daß sie im Ersten Weltkrieg gegeneinander kämpfen mußten, ungeachtet aller verwandtschaftlichen und historischen Bindungen. Der 1914 entfesselte europäische Bürgerkrieg zerstörte nicht nur diese und andere Reiche, er fügte zusammen mit seiner logischen Fortsetzung, dem Zweiten Weltkrieg, Europa Wunden zu, die zum Teil bis heute nicht verheilt sind.“ (S. 130)

 

Von Multikulturalität hält Bernd Posselt aber nicht immer viel; ihm gefallen nur die vor 1918 existierenden multikulturellen Staaten, aber nicht die 1918 gegründeten. Jugoslawien, z. B. sei ein „Völkerkerker“ (S. 201) und ein „Kunststaat“ (S. 203) gewesen: „...die Wiederentstehung Jugoslawiens nach dem Zweiten Weltkrieg, war lediglich die Erneuerung und Festigung eines ungerechten, künstlichen und geradezu perversen Staatsgebildes. Nach 1918 hatte blinder Nationalismus die übernationale Ordnung im Donauraum zerstört und die katholische, westlich orientierten Kroaten und Slowenen unter das Joch der – noch – wesentlich primitiveren, orthodoxen, östlich orientierten Serben gezwungen....In einer wirklich großeuropäischen Friedensordnung, die auf Recht gegründet ist, sollen aber die Völker ‚Jugoslawiens’ ihre Freiheit erhalten“, meinte Posselt schon im Mai 1980 (S. 202) und legte sein politisches Bekenntnis ab: „Die Habsburger und ihre Idee hingegen leben in moderner Form fort: in Paneuropa!“ (S. 203)

 

„Edvard Beneš – Zerstörer Mitteleuropas“ ist die Überschrift eines in Juni 1985 geschriebenen Essays. Darin berichtet Posselt über eine Zusammenkunft der Sudetendeutschen, Donauschwaben und Magyaren in „den deutsch besiedelten Ortschaften rings um Fünfkirchen/Pécs“:  „Sie alle, völlig verschiedene Menschen aus drei Kulturen, sind gleichermaßen Opfer derer, die Österreich-Ungarn zerstörten, Opfer der Pariser Vorortverträge von 1919, Opfer Hitlers und Stalins und nicht zuletzt eines Mannes, dessen Name, sonst selten genannt, rasch auf dem Dorfplatz fällt: Edvard Beneš, einer der bösesten Geister im untergeheneden Mitteleuropa.“ (S. 262) Masaryk und Beneš seien „gemeinsam für die Schaffung des künstlichen Nationalstaates ČSR verantwortlich“ (S. 265), der „seine fragwürdigen nationaldemokratischen Prinzipien bereits abgelegt“ habe, „bevor er das Licht der Welt erblickte“ (S. 265).

 

Beneš gehört in Posselts Urteil nicht nur zu den „bösesten Geistern im untergehenden Mitteleuropa“, sondern gilt auch als ein unfähiger Politiker: „1935, also jetzt vor 50 Jahren, Staatspräsident geworden, erwies sich Beneš immer mehr als der kurzsichtige Taktiker ohne poloitische Strategie, der er seit jeher war. Unfähig zu einem echten Ausgleich mit Sudetendeutschen oder Slowaken, der bis 1938 noch möglich gewesen wäre, verspielte er sämtliche Sympathien bei den Westmächten, trieb Hitler zur Weißglut und die Sowjets zur Gleichgültigkeit gegenüber seinem ungeliebten Staatswesen.“ (S. 266) Im Wiederspruch dazu unterstellt Posselt dennoch Beneš die Fähigkeit, sogar die politische Willensbildung der Großmächte manipuliert zu haben: „Durch geschicktes Taktieren m Exil und indem er Roosevelt und Stalin raffiniert gegeneinander ausspielte, gelang es ihm, das Konzept einer in der Geschichte beispielslosen Massenvertreibung zur offiziellen Politik der Siegenmächte zu machen.“ (S. 267)

 

In Tschechien soll zwar nach Posselts Vorstellungen den Sudetendeutschen das Rechts auf die angestammte Heimat zuerkannt werden, aber für die Tschechen hegt er keine großen Sympathien: außer über Begegnungen mit Václav Havel  (S. 270) und mit Rudolf Kučera (S. 288) berichtet Posselt über keinerlei persönliche Beziehungen zu, Tschechen, auch nicht über die Diskussionen mit ihnen. Es gäbe zwar einige aufgeschlossene, aber sehr viele, die ihm nicht gefallen, so daß „die antideutsche Hetze der Beneš-Nationalisten und Kommunisten“ weitergehe (S. 285) Bernt Posselts Buch zeigt keinerlei Bemühung, die vielfältigen tschechischen Sichtweisen der Vergangenheit kennenzulernen, über sie nachzudenken und sich mit ihnen diskursiv auseinanderzusetzen, wie es für eine dialogfähige Einstellung notwendig wäre. Als Politiker wird somit Bernt Posselt und die von ihm geleitete Sudetendeutsche Landsmannschaft daher vielleicht in dem einen oder anderen Millieu Unterstützung für ihre eigene Bestrebungen finden, aber sicherlich in keinen Dialog mit ihren Kritikern eintreten können.