Der BdV und seine Millionen
Von Kurt Nelhiebel


Jetzt ist die Sache halbwegs klar: der Bund der Vertriebenen, über dessen Mitgliederzahl unentwegt spekuliert wird, hat selbst überhaupt keine Mitglieder, genau gesagt keine „unmittelbaren natürlichen Mitglieder“. So steht es jedenfalls in einem Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 12. August 2010 an den Verfasser dieser Zeilen. Die BdV-Verantwortlichen werden sagen, anderes hätten sie auch niemals behauptet. Aber so einfach ist das nicht. Tatsächlich erweckt der Bund der Vertriebenen immer wieder den Eindruck, eine mächtige Organisation mit zwei Millionen Mitgliedern zu sein. An dieser Zahl hält er unverändert seit mehr als 30 Jahren fest, obwohl sich seine Reihen doch mittlerweile gelichtet haben müssen. Altersbedingt stellen immer mehr Orts- und Kreisverbände ihre Tätigkeit ein, und die Zahl der Teilnehmer an den traditionellen Pfingsttreffen der Vertriebenen nimmt seit Jahren kontinuierlich ab.

Am Leben gehalten wird der Bund der Bund der Vertriebenen mit Steuergeldern. Ungeachtet aller Finanznöte gewährt das Bundesministerium des Innern dem BdV pro Jahr eine institutionelle Förderung in Höhe von 920 000 Euro. Dafür sei eine genaue Kenntnis der Mitgliederzahl „nicht von Belang“, teilte das Ministerium mit, da lediglich die Geschäftsstelle des BdV (Sachkosten und Personal) für ihre Aufgabenerledigung institutionell gefördert werde, nicht jedoch seine Mitgliedsorganisationen.

Bei der immer wieder genannten Zahl von zwei Millionen BdV-Mitgliedern kann es sich demnach nur um die Mitglieder der 21 Landsmannschaften und der 16 Landesverbände des BdV handeln. Ob diese Zahl stimmt, weiß allerdings nicht einmal die BdV- Präsidentin Erika Steinbach. Jedenfalls dürfen die Mitgliederzahlen der Landsmannschaften und die der BdV-Landesverbände nicht einfach zusammengezählt werden. Das haben die Vertriebenen in Hessen 1953 in ihren Marburger Beschlüssen grundsätzlich ausgeschlossen. Sie erklärten: „Wer Mitglied des Bundes der vertriebenen Deutschen ist, ist zugleich Mitglied seiner Landsmannschaft, und wer Mitglied seiner Landsmannschaft ist, ist zugleich Mitglied des Bundes der vertriebenen Deutschen. Es gibt nur einen einheitlichen Mitgliedsbeitrag.“ (Der Bund der vertriebenen Deutschen war ein Vorläufer des später gegründeten Bundes der Vertriebenen). Mitglieder der Sudetendeutschen Landsmannschaft sind nach deren Auskunft „lediglich die zahlenden Mitglieder der Organisation“, also nicht etwa auch nicht zahlende Familienangehörige.

Angesichts dieser klaren Vorgaben erstaunt es umso mehr, dass der Bund der Vertriebenen niemals eine konkrete Zahl nennt, sondern sich hinter der Floskel verschanzt, er gehe davon aus, rund zwei Millionen Mitglieder zu vertreten. Aber nicht einmal das kann die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, bestätigen. Sie wisse nicht, wie viele Mitglieder der Bund der Vertriebenen als Dachorganisation heute noch vertrete, räumte sie am 5. Januar 2010 im Deutschlandfunk ein. Der BdV sei eben ein „durch und durch heterogenes Gebilde“, hatte sie bereits in ihrer Rede zum 50. Jahrestag des BdV am 22. Oktober 2007 zu bedenken gegeben. Jeder Vorsitzende eines Kaninchenzüchtervereins würde sofort abgewählt, wenn er die Zahl der Mitglieder auf der Jahreshauptversammlung nicht benennen könnte. Aber beim Bund der Vertriebenen gelten anscheinend andere Regeln. Und die Bundesregierung, die das alles finanziert, gibt sich damit zufrieden. Sie selbst hat nach eigenen Angaben „keine Erkenntnisse“ über die Zahl der in den Mitgliedsverbänden des BdV organisierten Personen.

Da verwundert es nicht, dass die Generalsekretärin des Bundes der Vertriebenen, Michaela Hriberski, ungerügt behaupten kann, der BdV vertrete 15 Millionen Vertriebene, Aus- und Spätaussiedler. Auch das lässt sich nicht überprüfen. Seit Jahrzehnten gibt es nämlich - wie das Bundesinnenministerium dem Verfasser bereits 2004 auf Anfrage mitteilte, „keine Statistik, aus der sich die Zahl der in Deutschland lebenden Vertriebenen herleiten lässt“. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes gab es 1982 in der Bundesrepublik Deutschland 7,8 Millionen Vertriebene. Folgt man den Angaben der BdV-Generalsekretärin, dann müsste sich die Zahl der Vertriebenen im Laufe von knapp 30 Jahren ungeachtet aller natürlichen Abgänge mehr als verdoppelt haben.

Als der Deutsche Depeschendienst (ddp) im Januar 2010 nach einer telefonischen Umfrage bei den BdV-Landesverbänden mitteilte, die Zahl der organisierten Vertriebenen belaufe sich nur noch auf 550.000, bezeichnete Erika Steinbach die Zählung als „teilweise falsch“, legte selbst aber wiederum nichts Konkretes auf den Tisch. Auch die Feststellung des Deutschlandfunks, die Vertriebenenverbände hätten lediglich noch 100 000 zahlende Mitglieder, veranlasste sie nicht zu detaillierten Angaben. Die Opposition im Bundestag rief nach Klarheit. Erika Steinbach solle endlich die von ihr genannten Zahlen „belegen und aufhören, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen“, empörte sich die SPD-Abgeordnete Angelica Schwall-Düren. Ähnlich äußerte sich auch der FDP-Abgeordnete Patrick Döring.

Auch das brachte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen nicht aus dem Gleichgewicht. Sie vertraut anscheinend darauf, dass die Bundesregierung ihren Verein zeitlich unbegrenzt am Leben erhält. Weshalb eine Organisation mit angeblich zwei Millionen Mitgliedern sich nicht selbst finanzieren kann, bleibt ein Rätsel. Über die genannten 920 000 Euro hinaus fließen jedes Jahr insgesamt mehr als drei Millionen Euro aus Steuermitteln in die Vertriebenenkasse. Vielleicht sollten die gesetzlichen Bestimmungen zur Alimentierung eines Verbandes, der nicht einmal die Zahl seiner Mitglieder nennen kann und der außenpolitisch nur Schaden anrichtet, überprüft werden.