15. März 1939: ein Markstein auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg

 

 

Der deutschen Besetzung des heutigen Tschechien vom 15. März 1939 kommt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs die Bedeutung eines Schlüsselereignisses zu. Angesichts der Geschichte jenes bald danach ausgebrochenen Krieges könnten die Ereignisse vom März 1939 als eine zwar für die tschechische Nation dramatische und folgenreiche, für die gesamteuropäische Geschichte jedoch weniger bedeutende Entwicklung erscheinen. Ein solcher Eindruck entspricht nicht der Quellenlage. Im gesamteuropäischen Erkennen und Begreifen der vom nationalsozialistischen Regime ausgehenden Bedrohung der europäischen Staatenordnung und somit des Friedens und für die Einsicht in die Unvermeidlichkeit einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Expansionismus stellt der 15. März 1939 einen entscheidenden Markstein dar.

 

Dass das NS-Regime expansionistische Ziele verfolgte und die Ostgrenze des Deutschen Reiches weit hinauszuschieben beabsichtigte, um im östlichen Europa ein deutsches Kolonialreich aufzubauen, war seit dem Erscheinen von Hitlers Opus Mein Kampf bekannt, wenn auch diese Tatsache von einem großen Teil der Europäer lange nicht angemessen zur Kenntnis genommen worden war. Nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges suchten die meisten Europäer den Gedanken an einen möglichen neuen Krieg zu verdrängen. Dementsprechend verbreitet war auch das Bemühen, gefährlich anmutende Konflikte mit Deutschland zu entschärfen.

 

Die Bereitschaft zu Konzessionen gegenüber den nationalsozialistischen Forderungen war überall groß, wie den inzwischen veröffentlichten Protokollen der Verhandlungen zwischen europäischen Diplomaten aller Nationen einerseits und dem NS-Regime andererseits zu entnehmen ist. Das gilt namentlich für die deutsch-britischen, deutsch-französischen, deutsch-sowjetischen sowie deutsch-amerikanischen, aber auch deutsch-polnischen oder deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Erinnerungen an die allgemein verbreitete Bereitschaft, Hitler entgegenzukommen, weitgehend verdrängt oder als kurzsichtige Kollaboration verurteilt; aus historischer Perspektive erscheint die damals allerorts verbreitete Kriegsangst jedoch verständlich. Auf die Gefahren einer solchen Konzessionsbereitschaft wurde von Anfang an nur von wenigen klarsichtigen Europäern deutlich hingewiesen, vor allem von deutschen und österreichischen Emigranten. Die Zahl derjenigen, die Hitlers expansionistische Politik begriffen, wuchs erst allmählich. Seit dem Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges und insbesondere im Jahre 1938 machte sich eine tiefgreifende Spaltung der europäischen Öffentlichkeit in der Frage bemerkbar, für wie gefährlich Deutschland einzuschätzen sei. Die warnenden Stimmen wurden immer lauter, und die konzessionsbereiten Politiker traten immer deutlicher als realitätsblinde Opportunisten auf. Dennoch war die politische Desorientierung noch bis zum März 1939 weit verbreitet.

 

Aus den Erinnerungen des ehemaligen britischen Botschafters in Berlin, Sir Neville Henderson, geht hervor, daß erst die deutsche Besetzung des heutigen Tschechien am 15. März 1939 zu einem Umbruch in der Politik seines Landes führte:

 

„Durch die Einnahme Prags setzte sich Hitler moralisch unstreitig und ein für allemal ins Unrecht und zerstörte die gesamte umstrittene Legalität der deutschen Sache gegenüber dem Versailler Vertrag. Nach Prag hörte der Nazismus auf, national und völkisch zu sein, und wurde rein dynamisch und verbrecherisch. Durch die gefühllose Vernichtung der mühevoll gewonnenen Freiheit eines unabhängig gesinnten Volkes verletzte Hitler mit Vorbedacht das Münchner Abkommen, das er noch sechs Monate zuvor unterzeichnet hatte, und auch sein Gelöbnis Mr. Chamberlain gegenüber, die Unabhängigkeit und Integrität des tschechischen Volkes respektieren zu wollen, sobald das Sudetenland in das Reich einverleibt sei. Von nun an war Hitlers Wort nicht mehr zu trauen. Auch konnten selbst die noch so pazifistisch Gesinnten an dem Raub Prags nicht vorübergehen. Es war in anderer Form eine Wiederholung der Vergewaltigung Belgiens 1914, und man übertreibt nicht, wenn man sagt, auch 1939 ist der Krieg durch das vorbedachte Zerreißen eines ‚Fetzen Papiers‘ durch Deutschland verursacht worden. Bis zu jenem März hatte, wie ich in meinem abschließenden Bericht schrieb, das deutsche Staatsschiff die Nationalflagge geführt. Während der Iden dieses März hißte sein Kapitän herausfordernd die ‚Totenkopf- und Knochen‘-Flagge des Seeräubers und entpuppte sich unter seinen wahren Farben als eine hemmungslose Gefahr für Europas Frieden und Freiheit.“[1]

 

Der französische Botschafter in Berlin, Robert Coulondres, wies in seinem Bericht vom 16. März 1939 über das Vorgehen des Deutsches Reiches in der Tschechoslowakei auf den deutschen Mißbrauch der ethnonationalistischen Rhetorik hin:

 

„In München haben die Naziführer und der Führer selbst geltend gemacht, es sei unmöglich, daß Tschechen und Sudetendeutsche in ein und demselben Staat miteinander lebten; sie beriefen sich auf den jahrhundertealten und unbändigen Haß der Tschechen gegen alles Deutsche; sie behaupteten, zur Wahrung des Friedens sei es unumgänglich notwendig, einen klaren Trennungsstrich zwischen den beiden Volksstämmen zu ziehen; es war ihnen gelungen, Lord Runciman von dieser Notwendigkeit zu überzeugen; dagegen bestritten sie, fremdstämmige Elemente dem Reich einverleiben zu wollen. Die in der bayerischen Hauptstadt versammelten Unterhändler waren auf dieser Grundlage gezwungen, die vorwiegend deutschen Gebiete an das Reich abzutreten. Als Ersatz hierfür sollten die neuen Grenzen der Tschechoslowakei durch eine Garantie, an der auch Deutschland teilnehmen sollte, geschützt werden.[...]
Heute ist nicht mehr von der angeblich für die Befriedung des Donaubeckens und Europas unerläßlichen Trennung zwischen Deutschen und Tschechen die Rede. Im völligen Gegensatz zu seiner bisherigen Politik stellt Deutschland das germanisch-tschechische Amalgam, dessen Bestandteile es vorher für unvereinbar erklärt hatte, wieder her. Während man vor einigen Monaten das Beisammenleben dieser beiden völkischen Gruppen für ganz und gar unmöglich erklärte, wird heute behauptet, dasselbe sei ganz natürlich, entspreche dem Sinn der Geschichte und sei die Folge wirtschaftlicher und geographischer Gegebenheiten. Von einem jahrhundertalten Haß zwischen Tschechen und Deutschen ist nicht mehr die Rede, im Gegenteil, es wird so dargestellt, als ob die beiden Völker einträchtig im Schoße der gleichen politischen Gemeinschaft leben könnten und müßten.“[2]

 

Der für das Münchner Abkommen von 1939 maßgeblich mitverantwortliche britische Premier Neville Chamberlain gehörte zu den bekanntesten Befürworten weitgehender Konzessionen an das NS-Deutschland. Er erläuterte seine Haltung am 17. März 1939 u. a. mit folgenden Worten:

 

„Der gestern in Prag erlassenen Proklamation zufolge sind Böhmen und Mähren dem Deutschen Reich angeschlossen worden. Nichtdeutsche Einwohner, zu denen natürlich die Tschechen gehören, werden dem Deutschen Protektor im Deutschen Protektorat unterstellt. Sie haben sich den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen des Reiches zu unterwerfen. Sie werden Staaten mit Selbstverwaltung genannt, aber das Reich übernimmt ihre Außenpolitik, ihre Zölle und Akzisen, ihre Bankreserven und die Ausrüstung der entwaffneten tschechischen Armee. Und vielleicht das Unheimlichste: Wir hören wieder vom Auftauchen der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei, und von der gewohnten Geschichte der Massenverhaftungen prominenter Persönlichkeiten mit den Folgen, die uns allen vertraut sind.
Jeder Mann und jede Frau in unserem Land, die sich an das Schicksal der Juden und der politischen Gefangenen in Österreich erinnern, müssen heute mit Kummer und Sorge erfüllt sein. Wer kann hindern, daß sich sein Herz in Sympathie dem stolzen und tapferen Volk zuwendet, das so plötzlich ein Opfer dieser Invasion wurde, dessen Freiheiten beschnitten sind und nationale Unabhängigkeit dahin ist?
[...] Deutschland hat der Welt unter seinem jetzigen Regime eine Serie von unangenehmen Überraschungen bereitet. Das Rheinland, der Anschluß Österreichs, die Lostrennung des Sudetengebietes - alle diese Dinge erregten und empörten die öffentliche Meinung der ganzen Welt. Jedoch, soviel wir auch einwenden mögen gegen die Methoden, die in jedem einzelnen dieser Fälle angewendet wurden, etwas ließ sich doch sagen - entweder wegen der rassenmäßigen Zugehörigkeit oder wegen allzulang mißachteter gerechter Ansprüche - etwas ließ sich doch sagen zugunsten der Notwendigkeit einer Änderung der vorhandenen Lage.
Aber die Dinge, die sich diese Woche unter völliger Mißachtung der von der deutschen Regierung selbst aufgestellten Grundsätze ereignet haben, scheinen zu einer anderen Kategorie zu gehören, und sie müssen uns allen die Frage nahelegen: ‚Ist dies das Ende eines alten Abenteuers oder ist es der Anfang eines neuen?‘
‚Ist dies der letzte Angriff auf einen kleinen Staat, oder sollen ihm noch weitere folgen? Ist dies sogar ein Schritt in der Richtung auf den Versuch, die Welt durch Gewalt zu beherrschen?‘
Das sind schwere und ernste Fragen.“[3]

 

 Im März 1939 behandelte das Deutsche Reich nicht einmal mehr ausländische Diplomaten entsprechend der sonst üblichen Gepflogenheiten. Das geht u. a. aus einem Bericht des damaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst Freiherr von Weizsäcker, über seine Unterredung mit dem französischen Botschafter am 15. März 1939 hervor:

 

„Ich habe den Botschafter gleich ziemlich scharf aufgefaßt, ihm erklärt, er möge mir doch nicht von dem Münchner Abkommen reden, das angeblich verletzt sei, und möge uns keine Lehren erteilen. München habe zwei Elemente enthalten, nämlich die Bewahrung des Friedens und das französische Desinteressement an den Ostfragen. Frankreich möge doch endlich seinen Blick nach Westen auf sein Imperium lenken und nicht von Dingen reden, wo seine Beteiligung erfahrungsgemäß den Frieden nicht fördere.“[4]

 

Großbritannien und Frankreich protestierten gegen das deutsche Vorgehen und die Errichtung des Protektorats, ebenso die USA und die Sowjetunion. In der sowjetischen Protesterklärung hieß es:

 

„Für die Unterzeichnung der Berliner Akte vom 15. März 1939 hatte Dr. Hacha, der Präsident der Tschechoslowakei, keine Ermächtigung von seinem Volk. Er handelte in offenkundigen Widerspruch zu den Artikeln 64 und 65 der tschechoslowakischen Verfassung. [...] Angesichts der oben genannten Gründe kann die Sowjetregierung die Eingliederung der tschechischen Länder und auch der Slowakei in das Deutsche Reich (in welcher Form sie auch erfolge) nicht als legitim und als den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts und der Gerechtigkeit oder dem Grundsatz der Selbstbestimmung der Nationen entsprechend ansehen.“[5]

 

Der französische Botschafter in Berlin, Robert Coulondres, schätze die europäischen Auswirkungen des deutschen Vorgehens gegen die Tschechoslowakei am 19. März 1939 folgendermaßen ein:

 

„Wir befinden uns also einer völlig neuen Lage gegenüber. Tatsächlich hat sich Deutschland nicht darauf beschränkt, seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluß bei den am Rande des Reiches lebenden Völkerschaften zu befestigen und auszudehnen. Es hat erwiesen, daß es dieselben zu absorbieren, vielleicht sogar zu vernichten beabsichtigt. Von der Expansionspolitik ist es zur Eroberungspolitik übergegangen, und die auf der Gemeinsamkeit der Abstammung aufgebauten Forderungen traten nunmehr gegenüber einem rein militärischen Imperialismus in den Hintergrund.
Das brutale Eingeständnis eines Annexionshungers, den das Reich bis dato auf das sorgfältigste getarnt hatte, mußte die Welt in äußerste Erregung versetzen. Wird Hitlerdeutschland, angesichts der hochgehenden Wogen der Entrüstung, die sein Vorgehen hervorgerufen hat, und nachdem es sich innerhalb eines Jahres achtzehn Millionen Menschen neuer Untertanen, darunter acht Millionen Fremdstämmige, einverleibt hat, das Bedürfnis nach einer Ruhepause empfinden? Oder wird es vielmehr unter Ausnutzung der gewonnen Geschwindigkeit und Bestürzung der mitteleuropäischen Staaten seinen Vorstoß in östlicher Richtung fortsetzen? Wird es nicht der Versuchung erliegen, sich gegen den Westen zu wenden und den Widerstand der Westmächte, die seine Bewegungsfreiheit im Osten hindern, endlich niederschlagen? Mit anderen Worten, wird der Führer nicht in Versuchung geraten, auf die ursprünglich in seinem Werk ‚Mein Kampf‘ vertretene Auffassung, die im übrigen mit den klassischen Grundsätzen des deutschen Generalstabs völlig übereinstimmt, zurückgreifen, daß nämlich das Reich seinen geschichtlichen Auftrag im Osten erst nach der Zerschmetterung Frankreichs und der sich daraus ergebenden Entmachtung Englands auf dem Kontinent wird erfüllen können?“[6]

 

Die politische Desorientierung der Europäer in der Konfrontation mit dem Nationalsozialismus war groß, und man kann sie im Nachhinein verstehen. Hitler hatte kontinuierlich Lügen verbreitet, und zugleich ist er mit einer historisch einmaligen Konsequenz dem in Mein Kampf in den Jahren 1925/26 formulierten Entwurf der nationalsozialistischen Ostpolitik treu geblieben. Selten in der Geschichte bezahlte Europa so schwer für Desorientierung und politische Fehlurteile wie im Zweiten Weltkrieg. Möchte man aus dieser Geschichte eine Lehre ziehen, dann kann man sie nur als eine Mahnung zu sorgfältigster intellektueller Umsicht mit Umgang mit allen Äußerungen von Politikern und ihren Kritikern gleichermaßen auffassen.

 

Diese Lehre scheint nicht gewirkt zu haben. Sogar manche Historiker schreiben heute noch in einer Weise, die mehr zur Verklärung als zur Klärung der Geschichte beiträgt. So sind beispielsweise der 15. März 1939 und dessen Bedeutung in einer neueren Abhandlung über die deutsch-tschechischen Beziehungen lediglich Anlaß zu einer Detailbemerkung, die auf eine Denunzierung von „Haß, wie er sich in Jahrzehnten aufgestaut und in den späten dreißiger und vierziger Jahren unseres Säkulums massenmörderisch entladen“ habe, hinausläuft.[7] Derartig banale, pseudo-psychologische Stereotypen anstelle sachlich präziser Analysen prägen viele gegenwärtige Äußerungen über die tschechische und gesamteuropäische Konfrontation mit dem Nationalsozialismus, verzerren unsere Geschichtsbilder und perpetuieren frühere Desorientierungen, anstatt wenigstens im Nachhinein zur Aufklärung schwer durchschaubarer politischer Vorgänge beizutragen. Die Signifikanz des 15. März 1939 für die tschechische und die gesamteuropäische Geschichte wird häufig selbst in der spezialisierten Fachliteratur verkannt und verzerrt.

 

So präsentiert etwa Hans Lemberg in seinem Aufsatz über „Deutsche und Tschechen – die nationalen und die staatlichen Beziehungen“ die „Protektoratsära“ in einer nur ‚summarischen’ Darstellung, ohne sogar die Errichtung des Protektorats auch nur zu erwähnen:

 

„In den ersten beiden Epochen dieser Ära - vor Heydrich - gab es noch gewisse Spielräume für Kollaboration, aber auch eine Doppelbödigkeit von Kollaboration und Untergrundarbeit. In einem makabren Vergleich etwa mit Polen könnte man einen geringeren Grad des Gewalteingriffs im Protektorat feststellen als anderswo. Freilich - es reichte, um auf Jahrzehnte das Klima zu vergiften: Lidice, Theresienstadt, der ‚Totaleinsatz‘ ganzer Geburtsjahrgänge im Reich, Verfolgung vor allem der Intelligenz, Exterminations-, Umsiedlungs- und Eindeutschungspläne für die Nachkriegszeit usw. - da fiel die zeitweise Bevorzugung gewisser Teile der Rüstungsarbeiterschaft kaum ins Gewicht, und auch nicht die Verschonung des Territoriums der ČSR von größeren Kriegszerstörungen, die ja nicht das Verdienst der Deutschen war.“[8]

 

Eine solche ‚summarische Behandlung‘ des Themas „Protektorat Böhmen und Mähren“ lässt erkennen, warum es vielen Deutschen bis heute schwerfällt, die Außensicht des Zweiten Weltkriegs zu verstehen.

 

In Hans Lembergs Darstellung mangelt es nicht nur an Sachinformationen. Es handelt sich um eine historische Desinformation. Hans Lemberg bringt nur das seit Generationen strapazierte deutsche Stereotyp, das Protektorat und damit die tschechische Nation seien vom Krieg verschont geblieben und, abgesehen von einigen wenigen Verbrechen und Plänen, sei es den Tschechen relativ gut gegangen. Jene Bedeutung des 15. März 1939, die die oben zitierten Diplomaten diesem Tag zumaßen, scheint der bekannte Historiker bis heute nicht erkannt zu haben. Kein Wunder, dass er dementsprechend auch die Ausweisung und Umsiedlung der deutschen Minderheit aus der Tschechoslowakei von 1945/46 nicht zu erklären vermag. Das Jahr 1945 habe „die Stunde Null im deutsch-tschechischen Verhältnis mit einem noch nie da gewesenen Tiefstand der Beziehungen“ gebracht, meint er.[9] Welch signifikante Rolle die europäischen Erfahrungen aus dem Weg in den Zweiten Weltkrieg, u. a. die von München 1938 und dem 15. März 1939, in den Diskussionen über die Pläne, die deutsche Bevölkerung aus den im Osten an Deutschland angrenzenden Staaten umzusiedeln, gespielt haben, erwähnt Hans Lemberg nicht einmal.

 

Man könnte meinen, dass Historiker präzisere Einblicke in das vergangene Geschehen vermitteln können als sie die jeweiligen Zeitgenossen hatten. Im Erinnern an den 15. März 1939 ist das keineswegs immer der Fall. Manchmal scheint es, dass heute selbst Historiker darüber schlechter informiert sind, als es die damaligen Diplomaten waren.

 


 


[1] Zit. nach Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Dokumenten, hg. v. Michael Freund, 3 Bde., Freiburg 1953-1956, hier Bd. 2, S. 12f.

[2] Ebenda, Bd. 3, S. 22

[3] Ebenda, Bd. 3, S. 18f.

[4] Ebenda, Bd. 3, S. 27

[5] Ebenda, Bd.3, S. 33f.

[6] Ebenda, Bd. 3, S. 38

[7] Hans Lemberg: Deutsche und Tschechen. Die nationalen und die staatlichen Beziehungen, in: Hans Lemberg: Mit unbestechlichen Blick... Studien von Hans Lemberg zur Geschichte der böhmischen Länder und der Tschechoslowakei. Festgabe zu seinem 65. Geburtstag, hg. v. Ferdinand Seibt, Jörg K. Hoensch, Horst Förster, Franz Machilek und Michaela Marek, München 1998, 29-53, hier S. 32

[8] Ebenda, S. 49

[9] Ebenda, S. 49