Deutscher Bestseller zur tschechischen Geschichte

Peter Glotz und seine Geschichtsbilder

In der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (52/2004, Nr.1, S. 72-80) ist soeben ein Essay von Eva Hahn und Hans Henning Hahn über das neueste Buch von Peter Glotz: Die Vertreibung – Böhmen als Lehrstück (Verlag Ullstein, München) erschienen. Das Buch von Peter Glotz stellt aus mehreren Gründen ein außerordentlich bedeutendes Ereignis für die Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen dar:

1. Das Buch stand wochenlang an den deutschen Bestsellerlisten
2. Peter Glotz gehört zu den wichtigen deutschen Politikern (u.a. als ehemaliger Geschäftsführer der SPD) und Intellektuellen der letzten drei Jahrzehnte, der u. a. als Beauftragter des Bundeskanzlers im „Konvent zur Zukunft der Europäischen Union“ an den Verhandlungen über die EU-Verfassung teilnahm
3. Peter Glotz gehört neben Erika Steinbach zu den führenden Protagonisten des Projekts „Zentrums gegen Vertreibungen“, das der Bund der Vertriebenen zu errichten plant und wo er mit staatlichen Mitteln die eigene Interpretationen nicht nur der deutschen, sondern auch polnischen und tschechischen Geschichte zu verbreiten beabsichtigt.
4. Die tschechische Geschichte ist ein Thema, zu dem umfangreiche Monographien in Deutschland nur selten erscheinen und bisher nie zu den Bestsellern gehörten
5. Es ist ein gefährliches Buch, in dem nicht nur falsche Informationen, sondern auch gehässige Feindbilder und Stereotypen verbreitet werden

Im genannten Essay über „Peter Glotz und seine Geschichtsbilder“ stellen die Autoren das Buch vor dem Hintergrund aller bisheriger Äußerungen von Peter Glotz zu diesem Thema vor.

Hier kann der ganze Essay von Eva Hahn und Hans Henning Hahn über Peter Glotz und seine Geschichtsbilder gelesen werden:
http://www.zeitgeschichte-online.de/portal/alias__Rainbow/lang__de/tabID__40208173/Default.aspx

Die folgenden fünf Zitate vermitteln den ersten Eindruck

„Emotionen, die Glotz mit Tschechien verbinden, sind nicht positiv gepolt: „Ein paar Völker teilten sich das gleiche Stück Erde. Die Rede ist von Tschechen, Slowaken, Deutschen, Juden, Ruthenen, Polen, Ukrainern, die in den böhmischen Ländern zusammenlebten. Zum Schluss fielen die Stärksten unter ihnen – Deutsche, Tschechen und Slowaken – übereinander her. Die Juden wurden dabei fast völlig ausgelöscht.“ So steht es im Klappentext seines neuen Buchs, einer ausführlicheren Textpassage des Autors entnommen. Vielleicht, weil Peter Glotz zu viele zu negative Gefühle mit dem am gleichen Buchumschlag anvisierten „Modellfall Böhmen eines Mechanismus der Verfeindung“ verbindet, nimmt er es alles nicht so genau: Daß in den böhmischen Ländern Slowaken, Ruthenen oder Ukrainer gelebt hätten oder gar Slowaken dort über jemanden hergefallen seien - man muß wohl kein eingeweihten Bohemist sein, um hier verblüfft mit dem Kopf zu schütteln.... Böhmen war ein Königreich, das heute mit den Überbleibseln seiner früheren Kronländern die Republik Tschechien bildet, und es haben dort weder Slowaken noch Ruthenen oder Ukrainer jemals gelebt. Derartige Unachtsamkeiten charakterisieren die Haltung des Autors zu seinem ‚Heimatland’ und dessen Geschichte, die er in seinem neuen Buch als ein besonderes „Lehrstück“ auf dem Gebiet „die Vertreibungen als ethnische Säuberungen“ zu präsentieren bemüht ist.“

„Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit scheint für Peter Glotz überhaupt eher eine allgemeine Vokabel als die Zuwendung zu konkreten historischen Erfahrungen zu sein. Das trifft sogar für seine eigene Familiengeschichte zu. Eine Suche nach „Spuren“ in ‚seinem Prag’ beschreibt er so: „Die meinen beginnen im Stadtteil Letná, wo mein deutscher Vater, damals der ‚Besitzer’ eines kleinen arisierten Betriebes für Gasmasken, ein unbedeutendes, ungläubiges Parteimitglied der Nazis, der Ärger wegen seiner tschechischen Frau hatte, eine Wohnung besaß. Immer wieder habe ich in der Nähe dieser Wohnung – die Straße heißt heute Milady Horákové – den kleinen Platz gesucht, auf dem mein erster Zirkus stand. “ Danach ergibt er sich nur noch seinen Erinnerungen an „den Trick eines Akkrobaten“, den er 1942 in „mein[em] Prag“, wie das einschlägige Kapitel überschrieben wurde, nachzuahmen versuchte. Es gehört schon ein erstaunliches Ausmaß an politischer, historischer und nicht zuletzt auch moralischer Gleichgültigkeit dazu, wenn ein deutscher Intellektueller im Jahre 1996 über die Arisierung-Geschichte seiner Familie in dieser Weise hinweggeht. Peter Glotz scheint nicht begriffen zu haben, daß es um das zentrale moralische Problem in allen Diskussionen über die deutschen Erfahrungen aus der Nachkriegszeit geht; in seinem 2003 veröffentlichten Böhmen-Buch ist von der Arisierung einfach keine Rede mehr: „Der Vater, Versicherungskaufmann, gänzlich unpolitisch, aber doch Mitglied der Partei jener Zeit im Sudetengau, war schon im Mai geflohen.“ An welches ‚Eigentum’ mag Peter Glotz wohl denken, wenn er das verlorene ‚unsere Eigentum’ erinnert?“

„Aus dem parteipolitisch geprägten Traditionsbekenntnis ergibt sich vieles, was Glotz über die Geschichte Böhmens schreibt, wie er es bezeichnet, und womit er wohl Tschechiens bzw. die Tschechoslowakei meint. Es entspricht dem bekannten historisch-politischen Memoirenwerk aus dem Jahre 1958 „Europas Weg nach Potsdam“ von Wenzel Jaksch , dem als „Vater der Vertriebenen“ bekannten 1964-1966 Präsidenten des BdV. Ähnlich wie Jaksch beschreibt auch Glotz die Geschichte seines ‚Heimatlandes’ aus der Sicht jener Gegner der Nationalsozialisten, die zwar die Tschechoslowakei nicht an Hitler ausliefern wollten, sie jedoch keineswegs als ihren Staat anzuerkennen bereit waren: Auf Grund ihres ethnischen Nationsbegriffs sahen sie nie ein, warum sich die tschechische Gesellschaft auf die tausendjährige staatsrechtliche Tradition ihrer nationalen Identität berief und nicht einer nach ethnischen Kriterien durchzuführenden Teilung des Landes zustimmen wollte. Ähnlich wie bei Jaksch sind die Geschichtsbilder des Peter Glotz geprägt von einer nostalgischen Verklärung der Habsburgermonarchie sowie von altbekannten Klageliedern gegen die nach dem Ersten Weltkrieg errichtete Staatenordnung. Sein ethnisch-völkischer Nationsbegriff verklärt seine Sicht der tschechischen Geschichte und macht ihn zum Opfer einer aus älterer Literatur übernommenen Geschichtskonstruktion.“.

„Der Titel des neuesten Buches von Peter Glotz über Böhmen als Lehrstück lautet ‚Die Vertreibung’. Dennoch findet sich dort viel weniger über die Vertreibung der Sudetendeutschen (66 von 288 Seiten) als über die Geschichte Böhmens. Auch hier, bei seinem eigentlichen Thema, widmet der Autor sich keineswegs primär den konkreten Ereignissen oder den Erinnerungen an die Betroffenen. Vielmehr gibt er lediglich die bestbekannten Bilder der beklagten tschechischen Verbrechen in Prag („Hier wütete wirklich die spontane Volkswut.“ ), Landskron, Brünn, Aussig und Postelberg wieder. Seine plakativ geschriebenen Texte versuchen die Brutalität der Verbrechen zu beweisen und damit die Gültigkeit seiner ‚universalhistorischen‘ These vom sog. Bazillus des Nationalismus, von dem die Tschechen in seinen Augen im 19. Jahrhundert befallen worden seien und an dem sie angeblich bis heute kränkeln, zu demonstrieren. Damit wird er freilich weder den Ereignissen, noch den Opfern gerecht. Seine Bilder sind keine Versuche, die Sicht eines humanistisch empfindsamen Betrachters von erschütternden Geschehnissen zu vermitteln, sondern ähneln den Bild-Metafern auf kämpferisch hochgeschwenkten Fahnen.

Vielleicht meint der Autor, daß es ein Zeichen von intellektueller Distanz ist, wenn er bei den Deutschen er die gleiche ‚Krankheit’ wie bei den Tschechen ‚diagnostiziert’. Deshalb bemüht er sich unablässig um eine Parallelisierung der kritisierten angeblichen ‚Auswüchse’ des deutschen und tschechischen Nationalismus. Das führt jedoch folgerichtig zum Versuch einer Gleichsetzung des Nationalsozialismus und der Nachkriegsbehandlung der Deutschen in der Tschechoslowakei; seine diesbezüglichen Passagen unterscheiden sich jedoch in einem sehr entscheidenden darstellerischen Moment: während die Bilder aus der Tschechoslowakei nach dem Kriegsende, also die der Vertreibung, mit recht blutrünstigen Details ausgestattet sind, nehmen sich seine Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, also die der deutschen Besatzungszeit, wie das heute populäre Image einer CNN-aufbereiteten Kriegsberichterstattung aus. Auch damit wird deutlich, daß die Geschichtsbilder Peter Glotz nur als Illustration eines aktuellen politischen Anliegens dienen.