Stellungnahme der französischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Vorschlag auf Gründung eines "Europäischen Gedenkzentrums für Opfer von Zwangsvertreibung und ethnischer Säuberung",
Straßburg, 24. Januar 2005
zit. aus Stefan Troebst (Hg.): Vertreibungsdiskurs und europäische
Erinnerungskultur. Deutsch-polnische Initiative zur Institutionalisierung. Eine
Dokumentation, Osnabrück 2006, S. 209-211
Übersetzung PB 1/0170-05
Délégation française à l‘Assamblée parlementaire du Conseil de l’Europe
Straßburg, 24. Januar 2005
60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau
Zentrum des Gedenkens oder Entstellung des Gedenkens
Am Tag der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung des wichtigsten
nationalsozialistischen Vernichtungslagers ist die Parlamentarische Versammlung
des Europarats aufgefordert, ein “Europäisches Gedenkzentrum für Opfer von
Zwangsvertreibung und ethnischer Säuberung” zu schaffen, das vom Ausschuss für
Fragen der Migration auf der Grundlage des Berichts von Mats Einarsson (Schweden
- Vereinigte Europäische Linke) vorgeschlagen wurde. Die französische Delegation
lehnt diesen Vorschlag aufgrund seiner Missverständlichkeit und untragbaren
Verwirrung, zu der ein solches Zentrum führen könnte, sowie seiner
destabilisierenden Folgen für die noch auf wackligen Füßen stehende europäische
Versöhnung einstimmig ab.
I. Ursprung des Projekts
Deutschstämmige, die aus ehemals deutschen oder durch das Dritte Reich besetzten
Gebieten vertrieben wurden, haben die Schaffung eines “Zentrums gegen
Vertreibungen” vorgeschlagen. Das Leiden dieser massenhaft aus Schlesien,
Pommern, dem Sudetenland etc. vertriebenen Gruppen soll in keiner Weise
geleugnet werden. Allerdings wurde die Schaffung eines solchen “Zentrums”
aufgrund der in Polen, insbesondere im polnischen Parlament, sowie in der
Tschechischen Republik ausgelösten großen Emotionen vom Bundestag und von
Bundeskanzler Schröder klar abgelehnt. Die Initiative wurde nunmehr an die
Parlamentarische Versammlung des Europarats herangetragen, wobei das Gedenken
auf die “Opfer” aller Zwangsumsiedlungen auf europäischem Kontinent ausgeweitet
werden sollte. Der ursprüngliche dem Ausschuss für Fragen der Migration
vorgelegte Vorschlag sah vor, das Leiden der nach dem Zweiten Weltkrieg aus den
Ländern Mittel-, Ost- und Südeuropas vertriebenen deutschen Bevölkerungsgruppen
bekannt zu machen. Er wurde in der Pressemitteilung (C.E. Press. 29.10.2004)
sogar als “Antwort auf die Debatte in Deutschland” angekündigt.
II. Wichtigste Punkte, in denen die Französische Delegation anderer Meinung
ist
a) Der Gebrauch des Begriffes “Deportation”: Im Empfehlungsvorschlag wird
unterschiedslos von “Deportation”, “Vertreibung”, “Zwangsumsiedlung” und selbst
“ethnische Säuberungen” gesprochen.
Im zweiten Absatz wird zwar daran erinnert, dass in Deutschland und anderen
Gebieten im Einflussbereich des nationalsozialistischen Regimes Juden und Sinti
und Roma, aber auch Russen, Polen, Ukrainer und andere in Konzentrations- und
Vernichtungslager deportiert worden seien, wobei die erste Gruppe Opfer eines
Völkermordes geworden sei.
Durch den unterschiedslosen Gebrauch des Begriffs Deportation werden die Fahrt
nach Auschwitz und der in den Verträgen nach 1945 festgelegte
Bevölkerungsaustausch jedoch gleichgestellt. Diese gleichsame Gleichsetzung des
“Leidens” bestimmter Gruppen mit dem Völkermord an den Juden ist für die
Franzosen vor allem deshalb inakzeptabel, weil die Justiz den Begriff
Deportation auf die Verschleppung in Konzentrations- und Vernichtungslager
begrenzt.
b) Einstufung als “Verbrechen gegen die Menschlichkeit”: Diese vom erst kürzlich
geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof angenommene Einstufung wäre, würde
sie auf die Bevölkerungsumsiedlungen nach 1945 angewandt, ein juristischer
Anachronismus. Sollte man sich gegen den Annan-Plan für die Wiedervereinigung
Zyperns stellen, der die Rückkehr der aus ihren Gebieten im Norden der Insel
durch ausländische Militärintervention vertriebenen griechischen Zyprer
ausschließt?
c) Befugnisse zur Durchführung “juristischer Ermittlungen”: Ohne der Frage
nachzugehen, dass weder klar ist, wann die Untersuchung von Zwangsvertreibungen
von Bevölkerungsgruppen in Europa beginnen, noch, wo sie enden soll, wird es
durch die Aufforderung, “juristische Ermittlungen” durchzuführen, sehr
unwahrscheinlich, dass das Zentrum die ihm übertragenen Aufgaben der
“Versöhnung” und “Konfliktprävention” wahrnehmen kann. Sollte das “Zentrum” für
sich beanspruchen (und mit welcher Legitimation?), die Rechtsgrundlage für die
Forderungen von aus ihren ehemaligen Gebieten vertriebenen Personen zu schaffen,
würden diese Gruppen ganz sicher Anträge auf Wiedererlangung oder Entschädigung
stellen, die doch gerade von der deutschen und der polnischen Regierung
zurückgewiesen wurden.
Schlussfolgerung
Die Schaffung eines dauerhaften Zentrums zum Gedenken an die nach dem
Zusammenbruch des Dritten Reiches umgesiedelten Menschen durch den Europarat zum
Zeitpunkt des 60. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen
Konzentrationslager kommt einer inakzeptablen Gleichsetzung der “Opfer” und
einer Beleidigung der Millionen Märtyrer der “Endlösung” oder der
Widerstandskämpfer gleich, die die Befreiung ihrer jeweiligen Länder mit dem
Leben bezahlt haben. Die Französische Delegation lehnt es einstimmig ab, sich
einem Vorschlag anzuschließen, der von den immer noch aktiven Holocaust-Leugnern
in jeder Hinsicht instrumentalisiert werden könnte; sie wird die französische
Regierung auffordern, die Schaffung dieses Zentrums nicht in die Tagesordnung
des 3. Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs des Europarats
aufzunehmen, das vom 17. bis 18. Mai in Warschau stattfindet.
Quelle: Archiv Troebst