Bernard Bolzano: Über das Verhältniß der beiden Volkstämme in Böhmen.
Drei Vorträge im Jahre 1816 an der Hochschule zu Prag gehalten, Wien 1849

„[…] Doch Sie entgegnen mir, daß ich des wichtigsten Grundes der Zwietracht und Erbitterung unter den Bürgern unsers Landes noch nicht erwähnt habe. Sie meinen die Rückerinnerung an jene Vorfälle widrigen Andenkens, durch die es geschah, daß neben der böhmischen Sprache in unserm Lande noch eine deutsche herrscht; ingleichen das zum Theile noch jetzt fortdauernde Verhältniß der Unterdrückung und Übervortheilung, in welchem der eine Theil des Volkes zum andern steht. So empfindlich auch die Berührung dieses Punctes ist m. Fr., so war ich doch nicht gesonnen, ihn mit Stillschweigen zu übergehen. Denn was hälfe es uns, daß wir den Krebsschaden, der an uns nagt, uns selbst und andern zu verhehlen suchten? wird eine Wunde dadurch, daß man sie blos zudeckt, schon geheilt? Gestehen wir es also, gestehen wir es immerhin, das sei wirklich das größte Unglück unsers Volkes, daß die Bestandtheile desselben nicht gleich anfangs – nicht durch freiwillige Vereinigung – sondern größtentheils durch äußeren Zwang zusammengebracht worden sind! und daß auch heut zu Tage der eine Theil – dem andern zu Trotz – nur allzusehr begünstigt, und über ihn emporgehoben wird!

Daß sich die Rückerinnerung an Übervortheilungen und an Unbillen, die man den Vorfahren zugefügt, auch auf die Enkel fortgepflanzt, ist etwas begreifliches, zumal wenn die Folgen derselben noch immer fortdauern oder wenn man sogar zum alten Unrecht immer neues hinzufügt! Und das geschieht hier wirklich. Denn werden nicht immer noch die Deutschgebornen im Lande und jene, die sich ihnen angeschlossen, in hundert sehr wichtigen Stücken bevorzugt? ist es nicht die deutsche Sprache, in welcher alle höheren Wissenschaften im Lande vorgetragen werden? die man auch zur Geschäftsprache in allen öffentlichen Angelegenheiten erhoben hat? Muß dies, so wenig es auch an sich getadelt werden kann, dem anderen Theil des Volks nicht gleichwohl sehr unangenehm sein? muß dieser nicht die Zurücksetzung, welche er hier erfährt, mit Bitterkeit empfinden? Aber noch mehr; sind nicht die Großen und Vornehmen des Landes, sind nicht die Reichen und Begüterten im Volke Alle, Alle nur Eins von Beiden, entweder geborne Deutsche und wohl gar Ausländer, oder doch solche Personen, die, weil sie längst schon die böhmische Sprache und Sitte abgelegt, den Deutschen beigezählt werden? Lebt nicht der böhmisch-sprechende Theil des Volks durchgängig nur in einem bedauernswürdigen Zustande der Armuth und der Unterdrückung? Und was das empörendste ist, hat man diesen nicht allerorts zu seinen Vorgesetzten Personen gegeben, die Deutsche sind, oder doch den Deutschen angehören? Personen, die, weil sie der Sprache, die er spricht, nicht einmal kundig sind, die Beschwerden und Klagen, seine Gesuche und Bitten, die Gründe, welche er zu deren Unterstützung vorbringt, gar nicht zu würdigen im Stande sind? die auch kein Herz zu ihm haben; ihn nicht als ihres Gleichen ansehen, und folglich auch gar nicht väterlich ihn behandeln, sondern vielmehr ganz nach dem Vorbilde jener egyptischen Zuchtmeister beherrschen und bis aufs Blut aussaugen? [2. Mos. 1, 8-13]

Wer kann in unserm Lande gelebt oder es auch nur flüchtig durchgereiset haben, ohne die Wahrheit dessen, was ich hier sage, bestätigen zu müssen? Wer mag sich also noch wundern, daß so gar kein Gemeingeist in unserm Volke anzutreffen ist? daß der Böhme und der Deutsche nie gern gemeine Sache mit einander machen? daß sie vielmehr einander verachten, fliehen und hassen? Nein meine Freunde, zu wundern hat man sich nicht hierüber; erklärbar und natürlich geht es, wie mit der Entstehung von allem Bösen in der Welt, so auch mit jener Abneigung zu, die zwischen den beiden Volkstämmen unsers Landes herrscht. Aber muß wohl ein Übel darum, weil es erklärbar und natürlich entstanden ist, auch unvermeidlich heißen? — Das Beispiel der ersten Christen zeigt uns auch hier wieder das Gegentheil. Denn wenn der böhmische Theil unseres Volkes dem deutschen Unbillen und Übervortheilungen vorwirft: um wie viel mehr Ursachen hatten die Nachkommen Israels nicht, über Mißhandlungen von Seite der Hellenen zu klagen? Aber wer immer das Christenthum annahm, vergaß auch das Vergangene, und in Betreff der Gegenwart ertrug er mit Geduld, was – sich nicht abändern ließ, und suchte im Geiste der Liebe Alles bestmöglich auszulegen und zu entschuldigen – durch die Verhältnisse der Zeit. Möchte dies Beispiel uns nicht umsonst gegeben worden sein, m. F.! Möchten wir es in unserer jetzigen Lage erneuern und der Welt zum zweitenmal beweisen, wie mitten unter den stärksten Versuchungen zur Zwietracht und Uneinigkeit, ein Reich der Eintracht und des Friedens hervorgehen und Glück und Segen über die Menschheit ausbreiten könne. Nur der Eintracht hatte das Christenthum seine Erhaltung und schnelle Ausbreitung zu verdanken. Und o wer weiß, wie vieles Gute auch durch uns bewirkt werden kann, wenn wir mit eben dem Eifer, wie jene ersten Christen, beitragen und befolgen die Worte des Apostels: Betrachtet euch Alle nur als Glieder Eines und ebendesselben Leibes; Christum den Herrn aber als euer Oberhaupt! Amen.“ (Ebenda, S. 24-27)

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„Wenn wir die Abneigung, die zwischen den beiden Volkstämmen unsers Landes herrscht, glücklich bekämpfen, und Eintracht und Gemeinsinn unter uns herstellen wollen m. Fr., so muß unsre vornehmste Sorge offenbar darauf gerichtet sein, daß wir die Ursachen, die diese Abneigung hervorgebracht haben, oder doch jetzt noch unterhalten, nach aller Möglichkeit beseitigen und unwirksam machen.

1. Der Untersuchung zufolge, die wir in unsrer vorletzten Versammlung angestellt, steht dem Gemeingeist in unserm Vaterlande kein wichtigeres Hinderniß entgegen als seine Sprachverschiedenheit. Wer diese ganz beseitigte, wer es dahin brächte, daß von den Bewohnern unsers ganzen Landes nur einerlei Sprache gesprochen würde, der würde der größte Wohlthäter unsers Volkes werden; so wie derjenige, der auf dem ganzen Erdenrunde einerlei Sprache ein-führte, der größte Wohlthäter der ganzen Menschheit sein müßte. Allein mit so viel Zuversicht wir auch behaupten können, daß dieses einst — nach vielen Jahrtausenden meine ich, zu Stande kommen werde; — so viele Mühe sich auch die weisen Vorsteher der katholischen Kirche gegeben, diese Zeit herbeizuführen; so unleugbar wir es ihren Bemühungen zu danken haben, daß die Anzahl der verschiedenen Mundarten und Sprachen in Europa, und der Grad ihrer Verschiedenheit doch viel geringer ist, als er sonst geworden wäre; so offenbar endlich die Erfahrung lehrt, daß sich die Menge der Sprachen auf Erden mit jedem Jahrhunderte vermindert: so ist gleichwohl der glückliche Zeitpunkt, wo auch in unserm Vaterlande nur einerlei Zunge herrschen wird, noch keineswegs als ein so naher anzusehen. Um desto eifriger müssen wir in Anwendung alles desjenigen sein, was diese Sprachverschiedenheit, solang sie noch unter uns besteht, möglichst unschädlich machen kann. Das erste ist, daß wir den noch ganz ungebildeten Theil unsers Volkes, die Böhmischen sowohl als die Deutschen, über den Unterschied der Sprache gehörig aufklären. Wir müssen es diesen Unwissenden erklären, woher der Unterschied der Sprache auf unserm Erdenrunde komme; wir müssen ihnen zeigen, daß es ganz willkürlich sei, ob man die Dinge so oder anders bezeichne, daß man aus Mangel der Verabredung bei den verschiedenen Völkern der Erde nothwendig auch auf verschiedene Bezeichnung der Begriffe habe verfallen müssen; daß der auf diese Art entsprungene Unterschied der Sprache der allerunwesentlichste sei, der unter den Menschen nur immer stattfinden mag; daß es daher die größte Thorheit sei, einen Menschen schon darum weil er in einer andern Sprache sich ausdrückt als wir, für etwas Besseres oder für etwas Schlechteres als uns selbst zu halten; daß es bei uns doch nur auf die Gewohnheit ankomme, ob wir gewisse Töne angenehm oder unangenehm, wohl oder übelklingend finden; daß daher nichts natürlicher als die Erscheinung sei, wenn einjeder von uns die Töne seiner Muttersprache für die gefälligsten hält. Soviel m. Fr. für den ganz ungebildeten Theil unsers Volkes. Den aufgeklärteren müssen wir überdies bitten, daß er die Streitfrage, welche von beiden Sprachen doch an sich selbst den Vorzug vor der andern verdiene, entweder ganz beiseite setze oder doch nur mit der mög-lichsten Gelassenheit und Mäßigung behandle. Es ist ein zweckloser Streit, weil sich aus seiner Entscheidung, wie sie auch immer ausfalle, gar keine Folgerungen für das Leben herleiten lassen. Und so gleichgültig es auch jedem Theil im Grunde sein soll, ob seine oder die Sprache seiner Gegner in diesem Streite obsiegt, indem sich ja Niemand die Sprache selbst gegeben hat: so heftig ereifert man sich dabei dennoch insgemein; so tief gekränkt fühlt sich gewöhnlich derjenige, der zuletzt eingestehen soll, daß seine Sprache wirklich die minder gebildete sei. Daher glaube ich denn m. Fr., jeder vernünftige Mann sollte es sich zu einer Regel gemacht haben, nie eine Sprache vor den Ohren solcher zu mißhandeln, die sie als ihre Muttersprache verehren, wofern er anders nicht mit aller Gewißheit voraussetzen kann, daß er Personen vor sich hat, welche über jeden Zweifel an der Wahrheit, von der ich so eben redete, erhaben sind. Doch dieses Alles kann nur verhindern, daß um des Sprachunterschiedes wegen keine Zwistigkeiten mehr unter Ihnen entstehen. Er, dieser Unterschied selbst, wird noch nicht weggeräumt. Sie aber sollen wissen, daß Sie auch zur Entfernung oder doch zur Verminderung dieses Unterschiedes überaus viel, und weit mehr, als es den Feinden unsers Wohles lieb ist, beizutragen vermögen. Vernehmen Sie wie? Jenem Theile von Ihnen, den Gott berufen hat, daß er einst für das Heil der Seele in unserm Volke sorge, dem wird auch anvertraut sein die oberste Leitung des Kinderunterrichts in allen Gegenden des Landes. Und eben deshalb wird es Ihnen, wenn Sie nicht einige Mühe und Arbeit zu Ihrem großen Zwecke scheuen, in diesem Verhältnis beinahe überall möglich sein, die zarte Jugend, die in Ihre Schule strömt, und nur einer der beiden Landessprachen allein kundig ist, auch mit der andern spielend vertraut zu machen; fast nirgends werden Sie bei diesem Vorhaben von Seite der Obrigkeit, und noch viel weniger von Seite der Eltern oder der Kinder selbst einen Widerstand erfahren. Kinder und Eltern werden sich vielmehr recht herzlich freuen, daß in Ihren Schulen etwas so offenbar Nützliches gelernt wird! Und wenn Sie diesen Unterricht anders auf die gehörige Art einleiten, wenn Sie ihn nicht durch Regeln, sondern durch unmittelbare Sprachübung ertheilen: so werden die schnellen Fortschritte, die Ihre Zöglinge machen, Sie in Erstaunen setzen. In weniger als Jahresfrist wird der Knabe, der vorher auch nicht ein einziges Wort von seiner nachbarlichen Landessprache kannte, in ihr seine Gedanken verständlich und fertig auszudrücken im Stande sein. Welch eine große nicht zu berechnende Wohlthat, besonders für jeden böhmischen Bewohner unseres Landes! Hat er die deutsche Sprache inne, so kann er nun wandern durchs ganze Land, und findet überall Menschen, denen er sich verständlich mitzutheilen vermag! Hat er die deutsche Sprache inne, so fließen nun alle Quellen der Bildung, aus welchen seine deutschen Nachbaren schöpfen, auch für ihn ebenso reichlich als für sie! Hat er die deutsche Sprache inne, so kann er sich die nöthige Kenntniß aller Gesetze, die ihn angehen, verschaffen; so kann er sein Recht vor jedem Gerichtstuhle suchen; so kann er sprechen mit der Obrigkeit, deren Oberherrschaft von dem Geringsten anzufangen bis zu dem Höchsten im Lande anerkannt wird. — Aber auch wenn der deutsche Landesbewohner die Sprache seiner böhmischen Mitbürger gelernt hat, ist es ein großer Vortheil für ihn sowohl als für das Ganze. Nun kann er ohne Dolmetsch auch mit jedem Böhmen sprechen, nun sieht er sich nicht mehr gehaßt von diesem, sondern vielmehr geliebt, und auch er selbst, er selbst gewinnt jetzt Liebe zu einem Volk, von dessen richtiger, gesunder Urtheilskraft, von dessen Gut-müthigkeit und mancher andern noch verkannten Tugend er, seit dessen Sprache ihm bekannt ist, täglich neue Proben erhält. Brauche ich es erst zu sagen m. Fr., was sich hieraus so einleuchtend ergibt, daß es für jene Deutsche, welche das Schicksal in irgend einer Rücksicht zu Vorgesetzten über Böhmen erhebt, eine der heiligsten Pflichten sein müsse, die Sprache ihrer Untergebenen zu erlernen? Denn ohne diese zu verstehen, ist es fürwahr kaum möglich, daß wir die Pflichten unsers Amtes erfüllen! um wie viel weniger, daß wir die Liebe und das Zutrauen unsrer Untergebenen gewinnen! Nur als Miethlinge müßten wir ihnen erscheinen! und könnten auch wirklich nicht viel mehr als Miethlinge sein! Denn »jeder gute Hirt (so meinte schon unser Jesus) muß eine Stimme besitzen, die seine Schafe kennen!« [Joh. 10, 4] Mag es also noch so beschwerlich sein, es muß doch geschehen, soll dem Geringsten selbst in unserm Vaterlande ja einmal aufgeholfen werden. Und wie? Kennen wir nicht so viele andere Sprachen? Sprachen, die uns weit weniger angehen? lernen wir nicht die Sprachen der Länder Frankreich, Italien, England mit so viel Fleiß und Kostenaufwand? Wie sind wir nicht bestrebt, uns diese in möglicher Vollkommenheit anzueignen, um von den Ausländern den wahrlich zweideutigen Lobspruch zu vernehmen, daß wir wie Einer der Ihrigen sprechen? Wer sollte es vermuthen, daß wir bei so vieler Aufmerksamkeit für eine fremde Sprache, so wenig Fleiß nur auf unsre eigene Landessprache verwenden? So wenig Fleiß sage ich? auch daß wir sie ganz vernachlässigen, sollt' ich behaupten, ja daß wir uns — ein fast unglaublicher Umstand! — auch sogar schämen, sie zu sprechen! O m. Fr.! bemühen wir uns, unsre Mitbürger von dieser Thorheit, die uns selbst den Ausländern verächtlich macht, zuheilen. Weit mehr, als an die großentheils unnütze Erlernung fremder Sprachen, denken wir doch an die vollkommene Erlernung unserer beiden Landessprachen! und muntern wir, so viel wir ein jeder in unserm Wirkungskreise vermögen, auch alle unsere Mitbürger auf zu einem gleichen Verfahren!

2. Je vollkommener uns dies gelingen wird, je mehre Deutsche wir vermögen, die böhmische; und je mehre Böhmen, die deutsche Sprache zu erlernen: um desto leichter wird sich und zwar zum Theil schon von selbst das zweite Hinderniß beheben, welches dem Gemeinsinn in unserm Vaterlande entgegen steht. Dieses ist nemlich die Ungleichheit in der Gemüthsart, in den Begriffen und Gesinnungen, die zwischen den böhmischen und deutschen Einwohnern unseres Landes statthat. Es ist sich nicht zu wundern, daß Menschen von welchen der eine die Sprache des andern nicht versteht, bei aller nachbarlichen Angrenzung in ihrer Gemüthsart, in ihren Begriffen und Gesinnungen gleichwol sehr von einander abweichen. Ihnen fehlt nemlich das ausgiebigste Mittel zur Verähnlichung, welches im Umgange gegeben ist. Es ist die wechselseitige Mittheilung unserer Meinungen, welche bei öfterem Umgänge stattfindet, es ist das Abhören der Gründe unsrer Meinung, und die Beantwortung der wider sie erhobenen Gegengründe; es ist das öftere Sehen der fremden Handlungen, und die oft nur unwillkürliche, aber doch niemals unwirksame Nachahmung solcher Handlungen — was dem Umgange diese Kraft der Verähnlichung ertheilt. Je öfter also und je ungehinderter die Bürger eines und eben desselben Landes miteinander verkehren können, um desto mehr Aehnlichkeit erhält auch ihre ganze Art zu denken und zu handeln. Fügen Sie hinzu, daß Menschen, die einerlei Sprache verstehen, auch durch die größte Entfernung von einander noch nicht gehindert sind, eine Art von Umgang zu pflegen, durch schriftliche Aufsätze nemlich ihre Gesinnungen einander mitzutheilen; setzen Sie bei, daß Menschen, die einerlei Sprache reden, ihre Begriffe und Kenntnisse meistens auch aus denselben Quellen schöpfen, indem dasselbe Buch, welches der Eine mit Beifall gelesen und dem Andern angepriesen hat, auch von diesem wieder gelesen und zur Richtschnur angenommen wird; sie werden demnach gleichsam von einerlei Lehren geleitet, folglich auch beseelt von einerlei Gesinnungen sein. Wie sollte da nicht Eintracht und Gemeingeist herrschen unter ihnen? — Doch dies erinnert Sie vielleicht von selbst m. F., daß es ein Mittel gebe, wodurch man auch bei demjenigen Theile des Volks, welcher sich die Sprache des andern noch nicht geläufig gemacht hat, gleichwol dieselben Begriffe und Gesinnungen, wie sie bei diesem anzutreffen sind, verbreiten könne. Es ist die Übertragung der Schriften, die von dem einen Theile des Volks am häufigsten gelesen werden und den wichtigsten Einfluß auf seine Geistesbildung haben, auch in die Sprache des Andern, um sie auch diesem brauchbar zu machen. Wohl freut es mich, sagen zu können, daß auch in dieser unserer Versammlung es Einige gibt, welche an dieses heilsame Geschäft bereits gedacht; ja selbst schon dasselbe in Angriff genommen haben. Der Himmel gebe, daß dieser kleine Anfang von recht gesegnetem Erfolge sei! Er gebe, daß sich der Mitarbeiter, welche Sie freundlich unterstützen, Ihnen mit jedem Jahre stets Mehre gesellen! daß keine Eitelkeit und keine Sucht sich auszuzeichnen, die bisherige Lauterkeit Ihrer Absichten trübe, und Veranlassung zu Streit und Spaltungen, zu verderblichen Mißgriffen werde! Der Himmel nehme sie in seinen Schutz, auf daß gewisse böse Menschen, die allem Guten feind sind, nicht Gelegenheit finden, die unschuldigste und friedlichste Unternehmung in einem Lichte darzustellen, in welchem sie der Ruhe des Staates gefährlich erscheinen, und so durch obrigkeitliche Gewalt eingestellt werden könnte!

3. Auf diesem Wege einer schriftstellerischen Thätigkeit ist es, auf welchem auch das dritte Hinderniß des Gemeingeistes unter uns am glücklichsten bekämpft werden konnte. Ich meine das Erbitterung erregende Verhältniß, in welchem die deutschen Einwohner unsers Landes zu dessen älteren Bewohnern in früherer Zeit gestanden sind, und zum Theile jetzt noch stehen. Daß dieses Verhältnis selbst in all denjenigen Stücken, in welchen es noch besteht, aufgehoben werde, das m. F. ist eine Sache, die man wohl eher wünschen als wirklich erwarten kann; zumal da ihre Ausführung, selbst wenn der Staat sie wollte, noch andere große Schwierigkeiten fände. So gibt es also durchaus kein anderes Mittel, wie trotz dieses Mißverhältnisses den Bürgern unsers Landes Gemeingeist eingeflößt werden könnte, durchaus kein anderes, das in unsrer Macht stände, als: die Verbreitung solcher Einsichten im Lande, durch welche die Nothwendigkeit des Gemeingeistes immer einleuchtender wird; und das Auftreten einzelner vortrefflicher Personen aus jedem Volkstamme, welche durch ihre eigenen Vorzüge auch ihren ganzen Volkstamm dem andern liebenswürdig machen. O daß doch Jeder aus uns in dieser doppelten Rücksicht Alles, was seine Kräfte vermögen, leistete! Jeder, dem höhere Gaben von Gott verliehen sind, der sich geeignet fühlt, auch als Schriftsteller bei seinem Volke aufzutreten, möge für sicher annehmen, daß er das ihm vom Himmel vertraute Pfund nicht besser anwenden könne, als wenn er Schriften verfaßt, welche den Gemeingeist in unserm Lande befördern; Schriften, durch welche unserm Volke allmälig einleuchtend wird die große Wahrheit: daß es durch seine bisherige Entzweiung, durch jenen Mangel an Gemeingeist, welchen es bisher bei so vielen Gelegenheiten gezeigt, Niemanden mehr als sich selbst geschadet, Niemanden mehr Freude gemacht habe, als seinen Unterdrückern! — Aber auch wem Gott so ausgezeichnete Anlagen nicht verliehen hat, daß er als Schriftsteller mit Glück aufzutreten vermöchte, oder wen seine Verhältnisse an dieser Art von Thätigkeit hindern, der unterlasse nicht zu thun, was er nur immer für diesen edlen Zweck vermag! Wer er immer sei, in welchem Stand er lebe, wird er nicht überall vielfältige Gelegenheit finden, mit seinen Mitbürgern zu reden von dem gemeinen Besten? Gibt es nicht tägliche Zusammenkünfte, in welchen wir uns mit der Erzählung und Anhörung merkwürdiger Veränderungen, die das gemeine Wohl betreffen, unterhalten? Wie viele Anlässe hier, die schiefen Urtheile unserer Mitbürger auf gute Art zu berichtigen; sie mit den Vortheilen, welche der Gemeingeist hat, bekannter zu machen; ihnen zu zeigen, wie vieles sie ausrichten könnten, wie vieles Gute auch bei ihnen zu Staude kommen müßte, wenn sie nur ernstlich zusammen halten wollten? — Doch fast noch mehr als von solcher Belehrung verspreche ich mir von dem zweiten Mittel, das ich vorhin genannt habe. Denn so ist der Mensch geartet, er haßt und er liebt oft einen ganzen Stand, ja selbst ein ganzes Volk um eines Einzigen willen, der diesem Stande oder Volke angehört, und ihm sehr liebens- oder hassenswerth dünkt. So kann — freuen wir uns dessen m. F.! — so kann ein jeder Einzelne von uns, wenn er nur anders will, blos dadurch überaus viel zur Aussöhnung der beiden Volkstämme in unserm Lande beitragen, daß er an seiner eigenen Person ein hohes Muster der Vortrefflichkeit vor seinen Stammgenossen darstellt, und besonders dem andern Volkstamme sich von einer recht liebenswürdigen Seite zeigt. Ein jeder Böhme aus uns suche bei jeder Gelegenheit, die ihm der Himmel herbeiführt, dem Deutschen Güte und Liebe zu erweisen, ein jeder Deutsche thue ein Gleiches an dem Böhmen: und ich bin gewiß, wenn nur das kleine Häuflein der hier Versammelten diese so leichte, schon in jedem Augenblick sich belohnende Regel befolgen will, in weniger als zwei Jahrhunderten müßte aller Haß der beiden Volkstämme unsers Landes verloschen und vertilgt sein! Um wieviel gewisser, wenn Sie auch noch die übrigen Mittel, deren ich heut erwähnte, alle gewissenhaft anwenden werden! O thun Sie es m. F.! Bezeigen wir uns gegen so heilsame Aufforderungen, als es die gegenwärtigen sind, nicht verstockt wie jenes Volk der Juden zu unseres Jesu Zeiten, das ihm die bittere Klage erpreßte, wie er ihnen den Weg der Rettung vergeblich zeigen wollte, »daß er vergeblich sich bemüht habe, es zu versammeln, so wie ein Huhn die jungen Kücklein ver-sammelt!« [Matth. 23, 37] Ach schmählichster Untergang war die Strafe dieser Verstockung — zum warnenden Beispiel für alle späteren Völker! Erkennen wir also besser als jenes Volk, »was uns zum Heile dient) [Luk. 19, 42], auf daß auch wir in die Reihe derjenigen Völker zu stehen kommen, die eben jetzt von neuem aufzuleben suchen, nachdem die Stütze der Tyrannei zerbrach! Gott, welcher das Wohl der Völker liebt, wird auch uns beistehen im bescheidenen Kampfe für die Freiheit! Amen.“ (Ebenda, S. 44-52)