Diese umfangreichen Memoiren eines der führenden sudetendeutschen Politiker stellen ein interessantes Dokument zur Geschichte der sudetendeutschen völkischen Bewegung dar. Becher wurde in der sog. sudetendeutschen Jugendbewegung der Zwischenkriegszeit sozialisiert, schloß sich dem berüchtigten „Kamaradschaftsbund“ an, dem Elitenkreis der 1935 gegründeten Sudetendeutschen Heimatfront unter Konrad Henlein, die zunächst heimlich und nach der nationalsozialistischen Besetzung der Tschechoslowakei 1938/39 offen die NS-Diktatur unterstützte. Ohne jeden kritischen Abstand erzählt Becher hier in seinem nach wie vor völkischen Jargon die Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, so wie sie bis heute im völkischen Milieu tradiert wird. Er berichtet aber auch ohne jede Distanzierung über das „Dreigestirn Rutha, Henlein, Heinrich, das dem Sudetendeutschtum vielversprechend den Weg in eine bessere Zukunft gewiesen hatte“ (S. 111), über seine Teilnahme an der brutalen Niederschlagung des Warschauer Aufstandes von 1944 („Wir wehrten uns, dorthin verlegt, so gut es ging am Erlöserplatz gegen die aus allen Winkeln losballernden Gewehrsalven.“ S. 127), über seine Erfahrungen und Fahrten zwischen Bayern und Böhmen am Kriegsende („Dabei wurde ich zum Träger von Neuigkeiten, die man weder Rundfunk- und Zeitungsmeldungen noch offiziellen Informationen entnehmen konnte. Mit solchem Wissen bereichert und belastet, fand ich jeweils den Weg zu den Wartenden in den Angstregionen der alten Heimat und zu den Amtsstellen in Bayern [...] Auf der Suche nach einer neuen Heimat war ich dann, ein Vierteljahr voller Kreuzfahrten und Irrungen durcheilend, Mitte Oktober 1945 endgültig in München angekommen“ S. 137)
Walter Becher Berichte über seine rege organisatorische und politische Tätigkeit in den ersten Nachkriegsmonaten bietet wertvolle Einblicke in die Geschichte der sudetendeutschen Bewegung in Westdeutschland. Sein Bericht belegt, daß die Nachkriegsstrukturen der sudetendeutschen Vertriebenenorganisationen schon ‚intakt’ vorhanden waren, bevor die Vertriebenen überhaupt in Deutschland angekommen waren: „Die Volksgruppe, deren Gros sich noch in den Auflösungszentren der alten Heimat befand, verfügte bereits im Herbst 1945 über eine politische Führung! Sie hatte sich in der ‚Hilfsstelle für Flüchtlinge aus den Sudetengebieten’ herausgebildet und, den anderen Ostdeutschen voraus, sich zu einer Gemeinschaft von Planern und Initiatoren zusammengefunden.“ (S. 141)
Bechers Interpretation der Vertreibung ist einfältig und läßt jede Einsicht in die komplexen historischen Zusammenhänge vermissen; der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš sei für die Vertreibung verantwortlich: „Neben Stalin und Hitler ist der Kleinbürger aus Koschlan bei Kralowitz, Präsident in der ersten, im Exil und in der zweiten Tschechoslowakei, hauptschuldig an dem millionenfachen Elend, das Ausrottungen, Umsiedlungen und Vertreibungen in Europa hervorriefen. Mehr noch: Er gilt als der intellektuelle Urheber der Vertreibung in West und Ost.“ (S. 145) Bei dieser Schuldzuweisung stützt sich Becher in seinen Memoiren auf die Äußerungen des Sozialdemokraten Wenzel Jaksch, und so wie dieser, verdrängt er alle Zusammenhänge zwischen der Vertreibung und der nationalsozialistischen Zerrütung des östlichen Europa im Zuge der brutalen Kriegsführung und Vernichtung. Sogar den Begriff Holocaust instrumentalisiert er im Zuge seiner Verschleierung und verwendet ihn als Bezeichung für das Geschehen in der Nachkriegstschechoslowakei (S. 146f.)
In der zweiten Hälfte seines Buches schildert Becher ausführlich die Geschichte der sudetendeutschen Organisationen, wobei insbesondere die Ausführungen über jene, an deren Gründung er maßgeblich mitgewirkt haben soll, wie die heute bekannten Adalbert Stifter Verein sowie das Collegium Carolinum in München, bemerkenswert sind. Bechers Buch ist ein wichtiges Zeugnis für jede mentalgeschichtliche Untersuchung aller Fragen, die nicht nur mit den Vetriebenenorganisationen in der Bundesrepublik, sondern auch mit der politischen Wirkung der Träger völkisch-nationalsozialistischer Traditionen im demokratischen Nachkriegsdeutschland zusammenhängen.