„Aussig“
als tschechisches Symbol
Historiker vermochten zwar bis heute die Ursachen des „Aussiger Massakers“ nicht zu klären, aber sie bahnen Wege zur Antwort auf die Frage, warum es zu jenen schrecklichen Ereignissen gerade in Aussig und nicht anderswo gekommen ist. Der Name dieser Stadt hatte schon 1945 eine große symbolische Bedeutung gehabt; es war als die Stadt der „Hakenkreuzler“, wie die bis 1933 in der Tschechoslowakei frei wirkende „Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ genannt wurde. Man könnte sogar in der symbolischen Wirkung der Aussiger Stadtgeschichte vor 1945 nach den Spuren des ‚Wegs zur Vertreibung‘ der Deutschen aus der Tschechoslowakei suchen. Hans Krebs (1888-1947), der 1938-1945 amtierende Regierungspräsidenten von Aussig, war nämlich kein gewöhnlicher NS-Mitläufer oder ein NS-Schreibtischtäter. Das geht aus einer schon kurzen biographischen Erinnerung hervor.
Hans Krebs, im Jahre 1888 an dem von Aussig aus gesehen entgegengesetzten Ende des altehrwürdigen Königsreichs Böhmen - in Jihlava (Iglau) - geboren, war von seiner Jugend her schon als Redakteur und politischer Funktionär eine der führenden Persönlichkeiten der rechtsradikalen antitschechischen sowie antisemitischen alldeutschen Bewegung in der Habsburger Monarchie. Nach dem Ersten Weltkrieg, 1918-1931, wirkte er als Hauptgeschäftsführer der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei. Als enger Vertrauter von Adolf Hitler schon in den frühen 1920er Jahren als die Organisationen der nationalsozialistischen Parteien in Deutschland, Österreich, Polen und in der Tschechoslowakei ein gemeinsames Koordinationsbüro in Wien hatten, erinnerte sich Krebs später:
„Ich entsinne mich noch deutlich des starken Eindruckes, den die Nachricht von der Existenz einer neuen Partei auf mich machte, die im Februar 1920 von einem Mann namens Adolf Hitler in München ausgerufen worden war. Sie trage einen Namen wie unsere Nationalsozialistische Arbeiterpartei, so hieß es, und verkünde Ziele, die den unseren aus der Seele gesprochen seien.“[1]
Krebs fühlte sich als ein stolzer sudetendeutscher Vorgänger der NSDAP und erzählte in seinen Büchern vielfach und begeistert über seine Vorliebe für Hitler und seine Bewegung:
„Das Programm flatterte zu uns herüber. Hier war einer, der uns sudetendeutschen Nationalsozialisten wirklich aus der Seele sprach. Die großdeutsche Zielsetzung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes wurde gefordert, Kampf gegen die Gewaltverträge, Kampf gegen die korrumpierende Parlamentsherrschaft, das Recht der schaffenden Arbeit wurde verkündet, ein deutsches Recht, eine deutsche Sozialreform, eine deutsche Kulturpolitik, eine rassische Verantwortung sollten gegenüber einem von jüdischer Zersetzung umdrohten Staatswesen zum Siege geführt werden. Dieser einfache Frontsoldat Adolf Hitler, der dort im Kreise anderer alter Soldaten und Frontkameraden wirkte, sei ein Deutschösterreicher, ein Oberösterreicher aus dem Innviertel, hörten wir weiter, wir spürten es aus seinen Parolen instinktiv: Hier wurden wir verstanden. Noch im gleichen Jahre fanden sich die Wege der Bruderbewegungen aus dem Reiche, aus Sudetendeutschland und Deutschösterreich zum ersten Male zusammen. Man verabredete sich zu einem zwischenstaatlichen Treffen in Salzburg, das dann auch in den Tagen des 7. und 8. August 1920 zustande kam.“[2]
Krebs war zu jener Zeit ein bekannter Politiker in der Tschechoslowakei, u.a. 1925-1933 als Abgeordnete der Nationalversammlung. Hätte er das Glück gehabt und später in der BRD gelebt, wäre er ein Vertriebener und vielleicht hätte er seine politischen Erfahrungen wie viele seiner Kollegen im politischen Leben der Vertriebenen eingebracht. Aber es kam anders.
Nach Hitlers Machtübernahme flüchtete Hans Krebs nach Deutschland, wirkte im Rang eines ‚Gauleiters der NSDAP‘ u. a. im Großdeutschen Reichstag und gab 1938 gemeinsam mit dem bis später in der BRD bekannten Politiker Siegfried Zoglmann das berüchtigte Buch „Sudetendeutschland marschiert“ heraus.[3] Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei kehrte Krebs zurück, gewann eine verheerende Reputation als Regierungspräsident in Aussig. Er wurde nach dem Krieg in Prag zum Tode verurteilt und am 15. 2. 1947 hingerichtet. Der Lebenslauf von Hans Krebs ist die Biographie eines jener sudetendeutschen Politiker, die das Bild der Sudetendeutschen als Hitlers Fünften Kolonne begründeten, und kaum eine andere Stadt in der Tschechoslowakei war so bekannt als Bastion der „Hakenkreuzler“ (wie die Anhänger von Krebs genannt wurden), wie Aussig.
Solche Erinnerungen erklären natürlich nicht, wie und warum es zu dem furchtbaren Massaker in Aussig 1945 gekommen ist, aber sie helfen, jene Zeit zu verstehen, in der es dazu gekommen ist. Solche Spuren der Vergangenheit bringen uns näher den schrecklichen Ereignissen von damals, als Meditationen über ‚irrationale Wut- und Haßausbrüche zwischen ethnisch, sprachlich, sozial oder politisch unterschiedlichen Gruppen, Völkern, Staaten‘ oder über ‚die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig‘ als ein Kapitel der Weltgeschichte, die beispielsweise Otfried Pustejovsky in seinem interessanten Buch über „Die Konferenz von Potsdam und das Massaker von Aussig am 31. Juli 1945: Untersuchung und Dokumentation“ (München 2001) anstellt.
Daß im deutschen Buchhandel über die „Sudetendeutsche Landeskunde“ heute noch Informationen aus Büchern von Hans Krebs verbreitet werden, trägt zu den Irrwegen im deutschen Erinnern an die Vertreibung bei.[4] Selbst der Freund und Mitarbeiter von Hans Krebs, Alfred Bohmann („Da ich Pg. B.[ohmann] seit vielen Jahren als unbedingt zuverlässigen Mann kenne, beantrage ich die Aufnahme in die SS und Zuerkennung des Ranges als SS-Obersturmführer“[5], schrieb Hans Krebs am 15. März 1939) verfasste nach dem Zweiten Weltkrieg informationsreichere Bücher. Bohmann, ein in der BRD bekannter sudetendeutscher Publizist, bot z. B. in seinem Buch „Die Ausweisung der Sudetendeutschen dargestellt am Beispiel der Stadt- und Landkreise Aussig“ aus dem Jahre 1955 beachtenswerte Informationen über die Beziehungen zwischen den dort ansässigen Deutschen und Tschechen: Die „tschechische Bevölkerung ganzer Ortschaften“ habe sich „menschlich einwandfrei verhalten“, die „Übergriffe und Untaten“ von damals seien von Fremden zu verantworten gewesen, die einheimische Bevölkerung habe sich „oft genug schützend vor die Verfolgten gestellt, sie in jeder Weise unterstützt“, ja selbst „auf die Gefahr hin, deshalb zur Verantwortung gezogen zu werden“.[6]
Solche Erinnerungen weisen uns auf einen interessanten Unterschied zwischen den Stimmungen und politischen Einstellungen der deutschen und der tschechischen Bevölkerung von Aussig hin. Über die deutschen Aussiger bot Hans Krebs nämlich drei Jahre zuvor, im Sommer 1942, ein ganz anderes Bild. Dazu vgl. Über die Lebensverhältnisse in Aussig 1942
[1] Hans Krebs: Kampf in Böhmen, Berlin 1936, S. 137
[2] Hans Krebs: Kampf in Böhmen, Berlin 1936, S. 137
[3] Gauleiter Hans Krebs und Bannführer Siegrfried Zoglmann: Sudetendeutschland marschiert, Berlin [1938]
[4] Hans Krebs / Emil Lehmann: Sudetendeutsche Landeskunde, Kiel 1992
[5] Die Deutschen in der Tschechoslowakei 1933-1947. Dokumentensammlung, zusammengestellt, mit Vorwort und Anmerkungen versehen von Václav Král, Praha 1964, S. 377
[6] Alfred Bohmann: Die Ausweisung der Sudetendeutschen dargestellt am Beispiel der Stadt- und Landkreise Aussig, Marburg 1955, S. 50